02 - Aus Liebe zu meiner Tochter
Telefon kurz und bündig ab: »Ich will nicht, daß du meine Ehe zerstörst.« In einem Brief 164
an ihren Mann schrieb sie damals: »Glaube mir, ich liebe niemanden mehr als dich. Selbst meine Eltern kommen jetzt erst an zweiter Stelle.«
Im Dezember 1983 wurde ihre dritte Tochter Monica geboren. Obwohl im Haus jetzt Frieden herrschte, konnte
»Ich weiß nicht, warum«, schrieb Muriel ihrem Mann aus Beirut, »aber hier finde ich eine gewisse innere Ruhe.
Ich bin immer fröhlich und lache. Und wenn ich einmal deprimiert bin, dann gehe ich zu Leila [Ramez'
Schwester] oder Nohad [die Frau eines Arztes aus der Nachbarschaft], und alles, was mir zuvor wichtig erschien, ist bald vergessen.« Immer wieder drängte sie Ramez, für immer in den Libanon zu kommen und einen Job bei Middle East Airlines anzunehmen oder ins Import-Export-Geschäft einzusteigen. Ramez erklärte, er würde im Libanon nicht genug verdienen, und der endlose Krieg, dem 150000 Menschen oder fast drei Prozent der Bevölkerung zum Opfer gefallen waren, mache das Leben dort zu unsicher. Seine eigene Familie war bisher glücklicherweise verschont geblieben, aber die Gefahr war stets gegenwärtig.
Im Jahre 1986 plante Muriel einen Besuch bei ihrer Familie in Simbabwe. Sie wollte mit ihren drei Töchtern vorausreisen; Ramez sollte zwei Wochen später nachkommen. Nach einer weiteren Woche würden sie dann gemeinsam nach Hause fliegen. Ramez war nicht ganz wohl bei dem Gedanken, aber es gab keinen vernünftigen Grund, sich der
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Reise zu widersetzen. Immerhin hatte seine Frau ihre Angehörigen fünf Jahre nicht gesehen, und sie vermißte sie.
Offenbar glaubte Muriel zu diesem Zeitpunkt nach wie vor an eine gemeinsame Zukunft. Auf dem Kalender in der Küche machte sie um den 3. September einen Kringel mit dem Vermerk »Schulbeginn«. Vicky kam im Herbst in die zweite Klasse, Maya in den Kindergarten und Monica in den Kinderhort. Da Muriel unbedingt einen Sohn haben wollte, hatte sie kürzlich ihren Arzt aufgesucht, um herauszufinden, warum sie seit Monicas Geburt nicht mehr schwanger wurde. Kurz vor ihrer Abreise bat sie eine Nachbarin: »Kümmern Sie sich um meinen Mann, solange ich weg bin.«
Am 12. August trafen Muriel und die Mädchen im öden Hügelland der Provinz Natal ein, rund 80 Kilometer landeinwärts von der Küstenstadt Durban. Ihre Eltern hatten dort von einem Mann, der tropische Pflanzen exportierte, einen Teil einer alten Farm gemietet. Das Haus war primitiv und abgelegen; weit und breit war kein anderes Gebäude zu sehen, abgesehen von den Unterkünften für die 30 schwarzen Arbeiter oberhalb des Farmhauses. Muriel aber glaubte, das Paradies entdeckt zu haben. »Ramez, du wirst es lieben, wenn du kommst«, schrieb sie fünf Tage später mit der ihr eigenen Leidenschaft. »Es erinnert mich so an Beirut und die Berge.«
Der Schluß des Briefes war für Ramez am schönsten: »Die Mädchen vermissen dich, und ich auch. Sie fragen mich immer, wann du kommst. Ich liebe dich!«
Ende August bestieg Ramez eine Maschine der South Af rican Airlines und landete nach siebenstündigem Flug auf einer Wüsteninsel westlich von Marokko. Nach dreistündigem Aufenthalt flog er acht Stunden lang weiter nach Johannesburg; von dort nahm er einen Inlandflug, der ihn in einer Stunde nach Durban brachte, wo ihn Muriels Bruder
Gordon abholte. Ramez traf kurz nach Mitternacht im Haus der Dunlops ein. Ganz leise legte er sich zu Muriel und den Mädchen in das große Bett. Er war viel zu aufge-regt, um zu schlafen. Er lag noch stundenlang wach und hörte auf das leise Atmen seiner Töchter.
»Als sie am Morgen nacheinander aufwachten«, schrieb Ramez drei Jahre später in sein Tagebuch, »blieben sie zuerst ganz still liegen und überlegten, ob ich ein Traum oder Wirklichkeit sei, und sie sahen mich mit liebevollen, süßen und sehnsuchtsvollen Blicken an. Sobald sie merkten, daß ich kein Traum war, fielen sie voll überschäumender Freude über mich her: Sie waren glücklich, überglücklich. Wir freuten uns und
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