02 - Aus Liebe zu meiner Tochter
sie, und sie verzweifeln an der Zukunft. Es sind Menschen wie Ramez Shteih, ein gebürtiger Libanese aus New Jersey, dessen drei Töchter 1986 von der Mutter nach Südafrika gebracht wurden. In solchen Schicksalen werden meine schlimmsten Alpträume Tag für Tag Wirklichkeit.
Außer Reichweite
Nachdem Ramez Shteih von Beirut nach New York umgezogen war, um in der Buchhaltung der Pan American Airlines zu arbeiten, wurde er amerikanischer Staatsbürger. Zu seinen Vergünstigungen im Dienst der Fluglinie gehörten Flüge zum Nulltarif fast überallhin, ideal für einen Mann mit Fernweh. Ein solcher Urlaubsflug führte Ramez 1977 nach Südschottland. Im blühenden Hochland hielt er an einem Restaurant an der Straße an, um zu Mittag zu essen. Eine Kellnerin erregte seine Aufmerksamkeit, und die Romanze seines Lebens begann. Muriel Dunlop wurde tags darauf 19, Ramez war 38, aber trotzdem verstanden die beiden sich von Anfang an. Sie tauschten ihre Adressen aus und schrieben sich innige Briefe. Als Ramez sechs Monate später wieder zu Besuch kam, turtelten sie wie ein seit langem verliebtes Paar.
»Meiner Meinung nach darf man einen Menschen nicht nach seinem Alter beurteilen«, sagte Ramez. »Wir waren uns sehr nahe und verstanden uns auch ohne Worte, als könnten wir gegenseitig unsere Gedanken lesen. Wir brauchten einander nichts zu erklären. Was wir auch anpackten, es gelang.«
Sie gönnten sich ganz einfache Vergnügungen: Picknicks auf dem Land oder am Strand, abendliche Streifzüge, auf denen sie Eis kauften, Besuche bei Muriels Freunden. Ra' mez lernte Muriels Eltern kennen und wurde gleich freund'
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lich aufgenommen. David Dunlop war Werkzeugmacher, seine Frau Isobell arbeitete als Empfangsdame in einem Hotel. Sie waren offenbar ganz vernünftige Leute, die weder aufgrund des Altersunterschieds noch aufgrund der verschiedenen Nationalität oder der religiösen Unterschiede zwischen Muriel und ihrem Verlobten Bedenken hatten. Ramez ging in eine griechisch-orthodoxe Kirche, während Muriel nichtpraktizierende Presbyterianerin war. Auch die Dunlops waren abenteuerlustig und reisten gern. Die meiste Zeit ihrer Kindheit und Jugend hatte Muriel in Rhodesien (Simbabwe) verbracht, wo ihre Eltern nach lukrativerer Arbeit gesucht hatten, ehe sie wegen des Unabhängigkeitskrieges im Jahre 1975 nach Schottland zurückkehren mußten.
Im Februar 1978 heirateten Ramez und Muriel in einer kleinen schottischen Kirche. Nachdem Muriel ihre Green Card bekommen hatte, nahmen sie sich eine Wohnung in Brooklyn; später zogen sie in das eher kleinbürgerliche New Jersey - ihrer Ansicht nach der geeignete Platz, um eine Familie zu gründen. Der jungen Braut, die kaum dem Teenageralter entwachsen war, fiel die Anpassung schwer. Sie konnte es kaum erwarten, schwanger zu werden, und sah sich gar nicht erst nach Arbeit um. In der neuen Umgebung fühlte sie sich allein, isoliert und fehl am Platz. Aber Muriel beklagte sich nicht oft. Sie war der Typ Frau, erklärte Ramez, der »alles in sich hineinfrißt und plötzlich explodiert wie ein Vulkan«. Er hoffte, ihre Unzufriedenheit werde vorübergehen.
Im Februar 1979 flog Muriel in Erwartung der Geburt ihres ersten Kindes nach Schottland. Victoria wurde im April geboren, und Muriel blieb noch weitere drei Monate dort. Ramez konnte sie nur hin und wieder am Wochenende besuchen.
Sechs Monate nach der Geburt der zweiten Tochter Maya kam Isobell aus Simbabwe zu Besuch nach New Jer-161
sey. Die Dunlops hatten sich wieder in Afrika niedergelassen; sie wollten in der Nähe ihrer beiden jüngeren Söhne sein, die dort Arbeit suchten.
Bereits am zweiten Tag ihres Aufenthalts erkundigte sich Isobell bei Ramez, wo er die Pässe seiner Töchter aufbewahre. Als sie hörte, daß die Pässe sich in einem Banktresor befänden, schien sie verstimmt darüber.
Tags darauf bestellte Isobell Ramez in ihr Zimmer, um unter vier Augen mit ihm zu sprechen. Sie kam gleich zur Sache: »Ich will, daß meine Tochter und meine Enkelinnen mich nach Simbabwe begleiten und dort die Familie besuchen.«
Erstaunt und verärgert über Isobells mit solcher Bestimmtheit geäußerten Wunsch, erklärte Ramez: »Darüber muß ich erst mit meiner Frau sprechen.«
»Ach, deine Frau hat ihren eigenen Kopf«, entgegnete Isobell gelassen, als sei die Sache bereits entschieden. Sie wurde nie laut; sie wußte, daß das nicht notwendig war.
Ramez bestand jedoch darauf, mit Muriel zu reden. Zu seinem Kummer mußte er
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