02 - Beiss mich, wenn du kannst
uns. Wir wurden von all jenen fleischfressenden Wer-Tieren praktisch ausgerottet. Die sind so viel größer und stärker, und denen ist ganz egal, was das für ein Mitternachts-Snack ist, der ihnen gerade vor die Schnauze läuft. Aber dank moderner Technologie", sie hielt ihren Rucksack hoch, „können wir alle in Frieden und Harmonie zusammenleben. Oder zumindest mit einem Minimum an Toleranz."
„Was haben Sie denn da drin? Eine Art Werwolf-Ausknopf? Pfefferspray gegen Wer-Tiger?"
„Eine Glock und eine Handvoll Silberkugeln."
„Das funktioniert natürlich auch." Ich sah sie forschend an. „Sie kennen Jack also?"
Sie musterte mich von oben bis unten. „Wer will das wissen?"
„Seine Schwester. Äh, das heißt, die Cousine der Cousine seiner Schwester."
„Wäre das dann nicht auch seine Cousine?"
„Na ja, äh, ja, irgendwie schon. Seine Cousine. Ich bin seine Cousine. Ich muss ihn dringend sehen. Es handelt sich um einen Notfall in der Familie." Ich sah noch einmal auf die Uhr. Fünfundvierzig Minuten. „Ich kann nicht fassen, dass er um diese Zeit nicht zu Hause ist."
„Er kommt nicht nach Hause."
„Was meinen Sie denn damit?"
„Er ist jetzt überhaupt nicht mehr zu Hause. Er ist bei ihr. Sie leben praktisch zusammen." „Bei wem?"
„Der Menschenfrau." Sie sprach das Wort allerdings nicht mit dem Ekel aus, wie ihn die meisten ihrer übernatürlichen Brüder und Schwestern hätten mitklingen lassen; sie wirkte eher neidisch. „Er ist immer bei ihr. Sie verbringen die Nacht bei ihr und dann am nächsten Tag geht er mit ihr zur Arbeit."
„Aber er muss doch schlafen."
„Sie bringt ihn irgendwo unter, wo es sicher ist."
„Und woher wissen Sie das alles?"
„Ich habe die beiden zusammen erwischt. Ich war unterwegs, um mir eine Pizza zu holen, und da habe ich sie gesehen. Ohne, dass ich das wollte. Ich verfolgte sie bis zu ihrer Arbeitsstelle. Und am nächsten Tag bin ich dann dorthin zurückgegangen, um mich etwas umzuhören. Sie macht ihre Facharztausbildung in der Pathologie und arbeitet dort von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang.
Offensichtlich hatte sie ihn an einem sicheren Ort versteckt, denn er ist reingegangen, aber bis zum Abend nicht wieder rausgekommen. Abends kamen sie dann beide raus." Ihre Augen glänzten feucht. „Zusammen." Sie blinzelte. „Am nächsten Tag machten sie genau dasselbe, und an dem danach auch. Sie finden es sicher unheimlich, dass ich sie beobachte, stimmt's?"
Eher bemitleidenswert. „Überhaupt nicht. Sie waren offensichtlich tief verletzt."
„Und besorgt. Ich hatte ihn schon seit Tagen nicht mehr gesehen, als ich die beiden dann zusammen entdeckte. Ich wusste nicht, ob ihn vielleicht irgend so ein Mistkerl umgebracht hatte oder ob er vielleicht in seinen Glastisch gestürzt war und sich dabei einen tödlichen Splitter reingerammt hat." Sie schüttelte den Kopf. „Ich konnte den Gedanken nicht ertragen, dass ihm was passiert sein konnte. Jack ist etwas ganz Besonderes. Er ist so ..."
„Egoistisch? Herablassend? Oberflächlich?" „Süß. Gut aussehend. Sexy. Ich habe noch nie einen Mann wie ihn getroffen."
Ihre Augen verschwammen schon wieder, und in meiner Brust bildete sich ein Knoten. Ich verstand die Tränen ja so gut, weil ich in diesem Augenblick am liebsten selbst laut geheult hätte. Noch vierzig Minuten.
„Ich kann nicht fassen, dass er mit jemandem zusammen ist." Eine Träne quetschte sich an ihren dichten, dunklen Wimpern vorbei und glitt über ihre Wange.
„Lassen Sie das lieber."
„Was?"
„Diese Tränen. Ich komme gar nicht gut mit Leuten zurecht, die weinen."
„Ich weine nicht." Sie wischte sich über die Wange. „Sie sind die, die weint."
„Ich weine doch nicht." Ich fuhr mir über die eigene Wange. Oh Mann, ich war am Heulen. Natürlich nur aus Mitgefühl. Weinen war nutzlos. Eine Vergeudung von Zeit und kostbaren Körperflüssigkeiten.
Okay, das klang jetzt irgendwie unappetitlich, aber es war auf jeden Fall die reine Zeitverschwendung.
Ich schniefte und wischte die verräterische Feuchtigkeit weg. „Seit wann kennen Sie und Jack sich denn?"
„Drei Jahre und vierzehn Tage."
Ich hob eine Augenbraue. „Und wie viele Stunden?"
Sie blickte auf ihre Uhr. „Sechs Stunden und zweiunddreißig Minuten."
„Das war ein Witz."
„Oh." Sie schniefte.
„Hören Sie mal zu, ich weiß ja, dass so eine Trennung hart sein kann. Aber man überlebt es." „Ich weiß."
„Sie kommen sicher drüber weg. Eine Trennung, wie unschön
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