02 - Der 'Mann in Weiß'
die Wäscheschublade im Kleiderschrank, in der er das Kleinod verstaut hatte. Und bekam einen gehörigen Schrecken.
Der Ring war nicht mehr da!
Zorn stieg in ihm hoch. Das Zimmermädchen? Vermutlich. Die Story mit der späten Schicht war ihm gleich seltsam erschienen. Aber das würde sich ja schnell klären lassen.
Mit raumgreifenden Schritten eilte Tom zur Rezeption. »Ich bin bestohlen worden«, teilte er dem Empfangschef mit. »Aus meinem Zimmer ist ein wertvoller Ring verschwunden. Und ich habe auch einen Verdacht…«
Tom erzählte dem Mann davon und beschrieb das Zimmermädchen.
»Das kann eigentlich nur Juanita sein«, erwiderte der Mann und runzelte die Stirn. »Aber das kann und will ich nicht glauben. Sie ist bisher immer sehr zuverlässig gewesen.«
»Ich sage ja nicht, dass sie es war. Trotzdem verlange ich, dass meinem Verdacht nachgegangen wird.«
»Wir werden natürlich tun, Señor, was in unserer Macht steht. Juanita hat heute Abend Dienst. Ich hole sie sofort her.« Der Mann griff zum Telefon.
Gleich darauf stand Tom dem Zimmermädchen in einem Nebenraum gegenüber. Sie stritt ab, etwas aus Toms Zimmer an sich genommen zu haben. Dabei sah man ihr das schlechte Gewissen deutlich an. Juanita konnte nicht gut lügen.
Das sah auch der Empfangschef so. Er informierte den Hotelmanager, der bald darauf kam und bestimmte, dass Juanita von seiner Stellvertreterin durchsucht wurde. Zudem musste sie ihren Spind im Umkleideraum öffnen.
Doch die Suche blieb erfolglos. Tom musste sich damit abfinden, dass ihr nichts nachzuweisen war. Sogar die Story mit der kranken Mutter stimmte. Also entschuldigte er sich zähneknirschend, obwohl er nicht an Juanitas Unschuld glaubte. Doch was ihn stutzig machte: Statt ihn böse anzufunkeln oder auch nur Erleichterung zu zeigen, stand noch immer die Angst in Juanitas Augen.
Er bat darum, mit ihr unter vier Augen sprechen zu dürfen. »Hören Sie, Juanita«, sagte er eindringlich, »wenn Sie mir den Ring unter Zwang gestohlen haben, geben Sie ihn mir zurück. Ich verspreche, dass ich Sie beschützen werde. Der Ring gehört einem sehr gefährlichen Mann. Sie dürfen ihm nicht trauen, egal was er Ihnen versprochen hat.«
Juanita schlug die Augen nieder. »Tut mir leid, Señor, aber ich kann Ihnen nicht helfen«, flüsterte sie.
Tom hätte sie durchschütteln mögen, um ihr den Ernst der Lage verständlich zu machen, aber er konnte im Moment nichts tun. »Also gut«, sagte er. »Ich kann Sie nicht zwingen, mir zu glauben. Aber wenn Sie es sich anders überlegen oder Hilfe brauchen ‒ Sie wissen ja, wo Sie mich erreichen.«
***
Pedro setzte die Flasche Corona ab, rülpste verhalten und sah den Freund zweifelnd an. »Ich habe das Gefühl, dass du dem Gringo zu sehr vertraust, Fernando. Das solltest du nicht tun, ich bitte dich. Er kann schön reden, zugegeben, aber du solltest dich nicht von ihm einwickeln lassen.«
Fernando schaute zum Fenster hinaus auf die nächtliche Straße. »Vielleicht hast du recht, Pedro.«
»Natürlich hab ich recht.« Pedro schüttete den Rest der Flasche in sich hinein und rülpste diesmal laut. »Hast du nicht gesagt, du willst nie wieder über den Feuergott reden? Das hast du doch gesagt, oder?«
»Ich hab's gesagt, ja.« Fernando zögerte und kratzte sich am Kopf. »Ich wollt's ja auch wirklich nicht mehr tun, ich hab nämlich 'ne Scheißangst. Aber ‒«
»Was, aber ? Da darf es kein Aber geben. Der Gott macht uns alle, wenn er auf uns aufmerksam wird!« Das nächste Corona wurde entkorkt.
»Da bin ich mir inzwischen nicht mehr sicher, Pedro. Oder kannst du mir erklären, warum er die einen abmurkst, andere wie mich aber nicht, und warum er meinen Bruder verrückt hat werden lassen? Mit der Hilfe von diesem Gringo kann ich das vielleicht rausbekommen, das bin ich auch Béjar schuldig. Vielleicht geht es ihm besser, wenn ich ihm die Wahrheit erzählen kann und er einsieht, dass er nicht die ganze Schuld an allem trägt.«
»Béjar? Dem wirst du nie mehr was erzählen. Der begreift nichts mehr.«
Fernando schwieg fast eine Minute. Für einen Moment glaubte er auf der Straße einen bleichen Gringo im weißen Anzug zu sehen, doch als er ihm mit Blicken folgen wollte, war er verschwunden.
»Vielleicht hast du recht, Pedro, vielleicht aber auch nicht«, flüsterte er schließlich. »Ich muss mir darüber klar werden, was für meinen Bruder das Beste ist. Und das kann ich nur dort, wo alles angefangen hat. Dort werde ich zu den
Weitere Kostenlose Bücher