02 - Die ungleichen Schwestern
was Jane noch von ihm sehen konnte,
war sein goldblonder Haarschopf über der sich schiebenden, drängenden Menge.
Jane
war noch nie irgendwo gewesen, wo es so hell wie hier war. Bei der
Abendeinladung ihrer Mutter hatten auch zahlreiche Kerzen und Lampen gebrannt,
aber es hatte an den Ecken doch noch weiche Schatten gegeben. Hier kam man sich
vor wie auf offener Bühne. Sie setzte sich neben Euphemia und betrachtete
angelegentlich ihren Fächer. Euphemia hatte sich gerade in Pose gesetzt, was Jane
sehr peinlich fand. Deshalb hielt sie die Augen gesenkt, um ihre Verlegenheit und
Angst zu verbergen. Euphemia hatte die Pose der »frühchristlichen Märtyrerin«
eingenommen: die Hände wie zum Gebet gefaltet und die Augen zur Decke erhoben.
Einige
Herren kamen zu ihnen herüber, um sich Euphemia vorstellen zu lassen. Jane war
sich ihrer Gegenwart bewußt, ohne sie recht wahrzunehmen, da sie die Augen
immer noch niedergeschlagen hielt. So entging es ihr, dass viele männliche
Augen auch auf sie gerichtet waren. Dann hörte sie ihren Namen, und als sie
aufschaute, sah sie, dass Lady Quesne ihr einen dünnen, pickeligen Herrn
zugeführt hatte, der nicht wußte, was er mit seinen Händen und Füßen anfangen
sollte.
Sie
stellte ihn Jane als Mr. Jellibee vor und fügte hinzu, dass Mr. Jellibee darauf
brenne, zu tanzen. Dann überließ sie die beiden sich selbst.
Mr. Jellibee
führte Jane auf die Tanzfläche. Es war ein Country-Tanz, und Mr. Jellibee
hatte eine sonderbare Art, beim Vorwärtsschritt immer direkt auf Janes Füßen zu
landen.
Jane
tat ihr Bestes und war dankbar, als eine kleine Pause eintrat. Mr. Jellibee
fragte, ob sie eine Erfrischung wolle. Jane, die darauf bedacht war, ihn loszuwerden, lehnte ab.
Sie wollte sich gerade zu ihrer Mutter setzen, die bei den Anstandsdamen
thronte, als sie Lord Tregarthan bei einer beeindruckend aussehenden Frau
stehen sah.
Jane
vergaß alles, was sie bei Felice gelernt hatte. Ein schneller Blick über die
Schulter genügte, um ihr zu zeigen, dass sich Euphemia in angeregtem Gespräch
mit dem Marquis of Berry befand. Jane ging entschlossen auf Lord Tregarthan zu
und sagte mit lauter, angespannter Stimme: »Ich möchte mit Ihnen sprechen,
Mylord.«
Er
brach sein Gespräch ab und blickte leicht überrascht zu ihr herunter. Die Dame,
die bei ihm stand, warf ihr einen wütenden Blick zu.
Lord
Tregarthan wandte sich an seine Gesprächspartnerin. »Mylady, darf ich Ihnen Miss
Hart vorstellen. Miss Hart, die Countess Lieven.«
Jane
wurde feuerrot und versank in einen tiefen Knicks; sie wäre am liebsten auf der
Stelle im Erdboden versunken. Die Countess durchbohrte sie mit ihren Blicken.
Die
Countess Lieven war eine der Schirmherrinnen von Almack und galt als Autorität
in der feinen Gesellschaft. Sie pflegte oft zu sagen: »Wo ich nicht bin, lohnt
es sich nicht, hinzugehen.«
»Was
ich gerade sagen wollte«, sagte die Countess und zeigte Jane betont die kalte
Schulter: »Wir müssen unsere Anstrengungen vertiefen, um Emporkömmlinge von der
Oper fernzuhalten.«
Lord
Tregarthan lächelte Jane mitfühlend an, aber sie hatte sich schon mit
flammendem Gesicht abgewandt und war davongeeilt.
»Und da
wir gerade bei Emporkömmlingen sind«, fuhr die Countess Lieven fort, »wir
werden der Familie Hart keine Eintrittskarten zukommen lassen. Ich wußte noch
nicht, wie ich mich entscheiden sollte, aber wenn diese Art von aufdringlichem
Benehmen in dieser Familie die Regel ist, dann sind wir ohne sie besser dran.«
»Miss
Jane ist noch sehr jung«, sagte der Beau, »und sie weiß, dass ich etwas mit ihr
besprechen muss. Außerdem soll sie nicht in die Gesellschaft eingeführt werden,
sondern ihre Schwester, wie Sie wissen.«
»Und
welches ist ihre Schwester?«
»Miss
Euphemia Hart. Da drüben. Sie betritt gerade mit Berry die Tanzfläche.«
Euphemia
lachte gerade furchtbar laut und kokettierte ganz ungeniert.
»Wissen
Sie was«, sagte die Countess, »ich glaube, sie ist sogar noch schlimmer als die
jüngere. Außerdem ist auch die Mutter höchst eigenartig, wie ich mich jetzt
erinnere. Sie hat doch glatt versucht, Lady Jersey zu umarmen, und behauptet,
sie hätten eine gemeinsame Freundin, von der aber niemand je etwas gehört hat.«
»Sie
müssen tun, was Sie für richtig halten«, seufzte der Beau. »Vielleicht werden
es die Harts überleben, dass sie nicht zum Ball ins Almack eingeladen werden.«
»Keiner«,
betonte die Countess Lieven, ȟberlebt ohne Einladung ins Almack.
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