02 - Die ungleichen Schwestern
dass sie ziemlich seltsam aussah. Zugegeben, das
grüngold gestreifte Kleid war hinreißend und brachte ihren Busen sehr
vorteilhaft zur Geltung. Ihre kunstvoll zurechtgezupften Locken waren dank der
Pomade nicht gekraust und leuchteten im Kerzenlicht rötlich. Felice hatte
irgendwo Ohrgehänge aus Jade aufgetrieben und lange goldfarbene
Lederhandschuhe. »Und kein Schmuck ins Haar. Sie sind so elegant, dass man Sie
für eine Französin halten wird.«
Jane
schaute sie zweifelnd an und merkte dann, dass ihr Felice ein großes Kompliment
gemacht hatte. Aber obwohl ihr Felice' warmherziges Lob guttat, konnte Jane
nicht umhin zu wünschen, dass sie wie eine ganz gewöhnliche Debütantin aussah -
mit hellbraunen Haaren und einem pastellfarbenen oder weißen Kleid -wie
Euphemia eben. Mit einem Schlag wurde sich Jane bewußt, wie sehr sie sich
wünschte, wie Euphemia auszusehen, wie sehr sie sich immer gewünscht hatte, wie
Euphemia auszusehen.
Die
Harts hatten für den Abend eine Equipage gemietet. Mrs. Hart wußte, dass sie
sehr gut zu Fuß hätten gehen können - der Berkeley Square war um die Ecke
-, aber es war nicht der Stil der großen Welt, zu Fuß einzutreffen;
deshalb mussten sie sich alle eine Stunde früher auf den Weg machen, um diese
kurze Strecke zurückzulegen und die Zeit damit zu verbringen, hinter einer langen
Schlange von anderen Kutschen aufgeregt zu warten.
Was
würde Lord Tregarthan wohl von ihrem Kleid halten? fragte sich Jane. Es war so
schwierig zu sagen, was er von irgendetwas hielt, oder ob er überhaupt über irgendetwas
groß nachdachte. Es galt als vulgär und unmännlich, Gefühle zu zeigen. Obwohl
sich Lord Tregarthan, eigentlich nicht an solche Konventionen hielt und sein
Gesicht nicht den einstudierten und versteinerten Ausdruck der meisten
Gentlemen zeigte, gab der sanfte Spott in seinen Augen gewissermaßen
ebensowenig von seinen wahren Gefühlen preis wie das fischäugige Glotzen, das
augenblicklich Mode war. Wie schön wäre es, wenn wenigstens ein männliches
Augenpaar bei ihrem Anblick aufleuchten würde.
Mr.
Bullfinch würde ebenfalls da sein. Es war besser, sich auf das Geheimnis um
Clara zu konzentrieren, als sich nach männlicher Verehrung zu sehnen, die immer
Euphemia und niemals ihr zu gelten schien.
Als sie
endlich angekommen waren, begann Janes Herz schnell und heftig zu schlagen.
Sogar Mrs. Hart und Euphemia wirkten ganz aufgeregt, als sie die Stufen zum
Ballsaal hinaufstiegen. Nur Mr. Hart stand mit steinernem Gesichtsausdruck
geduldig da wie immer und war offensichtlich recht unbeeindruckt von all der
Pracht um ihn herum. ,
Plötzlich
drehte er sich aber um und schaute zu Jane herunter. »Ich glaube, Jane«, sagte
er mit gedämpfter Stimme, »du wirst Aufsehen erregen. Du bist eine
ausgesprochen elegante junge Dame geworden.«
Tränen
der Dankbarkeit schossen Jane in die Augen; sie griff nach der harten,
schwieligen Hand ihres Vaters und drückte sie herzlich.
Vielleicht
liebt Vater mich wirklich, dachte sie verwundert. Sie war zu der Ansicht
gekommen, dass Vater- und Mutterliebe nur bei den unteren Ständen zu
finden seien.
Und
dann war sie an der Reihe, vor den Gastgebern, Lord und Lady Quesne, ihren
Knicks zu machen.
Sie
hinterließen bei ihr den Eindruck einer stämmigen, mürrisch aussehenden Frau
und eines cholerischen Mannes, und dann war sie auch schon im Ballsaal. Es
wurden Monokel auf sie gerichtet, harte Augen durchbohrten sie und taxierten
sie vom Scheitel ihrer Lockenfrisur bis zum Saum ihres Kleides.
Hunderte
von Kerzen erleuchteten den Ballsaal. Jane hatte Kerzenlicht noch nie als so
aufdringlich empfunden.
Sie
fühlte sich klein und nackt.
Sie
wollte nach Hause.
Sie
wollte zurück nach Upper Patchett.
Und
dann sah sie Lord Tregarthan.
Achtes Kapitel
Jane hatte nur
Augen für Lord Tregarthan und konnte nicht wegschauen. Er war wie ein Fels in
dieser bunten, wogenden Menge.
Er sah
großartig aus in einem tadellos geschnittenen Überrock aus dunkelblauer Wolle.
Unter, der weißen Satinweste trug er ein Rüschenhemd, dazu sandfarbene
Kaschmirkniehosen und weiße Seidenstrümpfe. Die Schnallen seiner flachen
schwarzen Schuhe waren mit echten Diamanten verziert.
Jane
wußte, dass sie Aufmerksamkeit erregte, wenn sie so dastand und ihn anstarrte,
aber sie wollte, dass er zu ihr herüberkam, damit sie sich in dieser fremden
Welt nicht so allein fühlte. Ein paar Männer und Frauen traten auf ihn zu. Es
kamen immer mehr Gäste herein, und alles,
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