02 - Die ungleichen Schwestern
Bullfinch bereits großen Kummer bereitet haben. Sie sind ein sehr
taktloses kleines Mädchen«, fügte er ziemlich giftig hinzu.
Jane
wurde wütend. »Lassen Sie mich Ihnen eines sagen, Mr. Gillespie«, sagte sie
kalt. »Ich bin davon überzeugt, dass es bei Claras Tod nicht mit rechten Dingen
zuging, und ich werde nicht ruhen, bis ich der Sache auf den Grund gekommen
bin.« Sie klingelte und bat Rainbird, den Arzt hinauszugeleiten.
»Oh,
wie dumm ich bin«, dachte Jane, als er gegangen war.
»Clara
Vere-Baxton interessiert mich doch gar nicht mehr. Ich wünschte nur,
dieser furchtbare Schmerz in meiner Brust würde vergehen.«
Als Mr.
Nevill eine halbe Stunde später zu Besuch kam, überredete Jane ihn, Mrs. Hart
mit in den Park zu nehmen, und verbrachte dann eine ausgesprochen aufreibende
Stunde im ersten Stock damit, ihre Mutter zu bewegen, aufzustehen und sich
anzuziehen. Schließlich erlaubte Mrs. Hart, dass man ihr in die offene Kutsche
half. Da sie unter ihre Augen schwarze Ringe gemalt hatte und eine dicke
Schicht weißen Puder aufgetragen hatte, um das Mitleid des Arztes zu erregen,
sah sie wirklich wie eine Gestalt aus einer Tragödie aus.
Wieder
einmal rückte sie in den Mittelpunkt des Interesses der oberen Zehntausend.
Wenn man es recht bedachte, hatte niemand in London für soviel amüsanten
Klatsch gesorgt wie Mrs. Hart, und sie hatten sie schon regelrecht vermisst.
Die Geschichten von ihrem Reichtum und ihrer guten Herkunft lösten schnell die
von der Bauerstochter ab, und sie nahm voller Dankbarkeit die zahlreichen
Erkundigungen nach ihrer Gesundheit entgegen.
Am
nächsten Tag kamen bereits wieder Karten und Einladungen ins Haus geflattert.
Mrs. Hart erholte sich erstaunlich schnell. Das bewies, dass ein Ehemann
ohnehin zu nicht allzuviel nütze war.
Elftes
Kapitel
Dass sowohl Lord
Tregarthan, der ihre Unschuld so schändlich missbraucht hatte, als auch Mr.
Gillespie, den sie so unsympathisch gefunden hatte, Jane Hart geraten hatten,
das Geheimnis um Clara nicht weiterzuverfolgen, machte sie nur noch
entschlossener, mehr darüber herauszufinden.
Da sie
keine anderen Zerstreuungen als die gelegentlichen Besuche von Mr. Nevill
hatte, machte sie sich von neuem ans Werk und lag Rainbird ständig mit der
Bitte in den Ohren, er solle ihr mehr über die verstorbene Clara erzählen.
Rainbird konnte dem, was er ihr schon bei früheren Gelegenheiten erzählt hatte,
lediglich hinzufügen, dass Clara eine Freundin hatte, eine Miss Lucas, von der
die Rede ging, dass sie zu ihrer zigsten Saison in London sei. Trotz der Höhe
ihrer Mitgift bekomme sie einfach keinen Mann, da sie ausgesprochen hässlich
sei.
Jane meinte
verblüfft, dass sie sich wundere, dass die schöne Clara ausgerechnet Miss Lucas
zur Freundin gehabt habe. Rainbird antwortete förmlich, er sei der Ansicht, dass
Miss Clara den Gegensatz zwischen ihrem Aussehen und dem von Miss Lucas zu
schätzen gewusst habe. Das war wieder so eine Kleinigkeit, die recht gut in das
Bild, das sich Jane machte, passte, und Clara in einem zunehmend schlechten
Licht erscheinen ließ. Jane fand die Sache nur noch interessanter als bisher.
Sie gewann jetzt mehr und mehr den Eindruck, als habe Clara Vere-Baxton ihren
Mörder herausgefordert.
Da Mrs.
Hart der Ansicht war, dass Mr. Nevill Jane den Hof machte, fühlte sie sich in
ihrem Entschluß bestärkt, sie an diesem Abend zu einer Gesellschaft in der
Queen Street mitzunehmen. Es war nicht nötig, ihr ein neues Kleid zu kaufen.
Das, was sie auf der Dinnerparty zu Ehren des Marquis of Berry getragen hatte,
war völlig ausreichend. Jane merkte sehr wohl, dass Mr. Nevills
Aufmerksamkeiten nicht die eines verliebten Mannes waren, und fragte sich oft,
warum er ständig ihre Gesellschaft suchte, aber sie wollte ausgehen, um die
Möglichkeit zu haben, Miss Lucas zu begegnen, und deshalb ließ sie ihre Mutter
in ihrem Glauben.
Das
Fest fand in der einigermaßen ungewöhnlichen Wohnung einer Mrs. Grace Baillie
im Erdgeschoß eines altmodischen Hauses in der Queen Street statt. Mrs. Baillie
gehörte zur guten Gesellschaft, aber sie war nicht sehr reich. Die Zimmer waren
klein und schlecht möbliert, und deshalb war sie auf eine ganz neue Idee gekommen,
sie herzurichten. Sämtliche Türen waren ausgehängt, die Möbel weggebracht und
die Wände mit Immergrün berankt. Überall waren Bäume in großen Töpfen verteilt,
in deren Laub bunte Lichter leuchteten, die an Blumengirlanden aus Papier
befestigt waren.
Weitere Kostenlose Bücher