02 - Die ungleichen Schwestern
sein.
Aber
Jane hatte Angst, zuviel zu hoffen. Lord Tregarthan stand jetzt mehr als je
zuvor himmelhoch über ihr. Er würde als Held zurückkehren und gefeiert und
verehrt werden. Jane dachte an Felice und spürte heftige Eifersucht auf die
Zofe, die an dem Abenteuer teilnehmen durfte.
Und
doch, sosehr sie sich in Gedanken auch mit Lord Tregarthan beschäftigte und
sich fragte, wie sie ihn behandeln sollte, wenn er zurückkam - kalt, mit
würdigem Kopfnicken oder mit beiläufigem Lächeln und einem Händedruck? -,
hatte sie das Geheimnis um Clara nicht vergessen. jemand hatte versucht, sie
bei Mrs. Baillie zu töten. jemand, der es sicherlich noch einmal versuchen
würde.
Am
nächsten Morgen plante Mrs. Hart eine Abendgesellschaft, um die Rückkehr ihres
Mannes zu feiern, und Jane hatte das Gefühl, dass sie nicht länger mit ihr
zusammensein konnte. Sie entschuldigte sich mit Kopfschmerzen und wollte sich
in ihr Zimmer zurückziehen. Mrs. Hart schaute sie streng an: »Vergiss nicht, dass
Mr. Nevill heute nachmittag kommt, um mit dir auszufahren, Jane.«
Jane
hätte beinahe gesagt, dass sie Mr. Nevill nicht sehen wollte, aber dann
überlegte sie, dass Mr. Nevill sicher genau wußte, wann Lord Tregarthan
zurückkam, und es verlangte sie danach, ihn zu sehen, in seine Augen zu schauen
und festzustellen, ob er sich wenigstens ein bisschen aus ihr machte. Als sie
aus dem Speisezimmer trat, begegnete sie Rainbird, der die Treppe vom
Dachgeschoß herunterkam. Sie machte die Andeutung eines Lächelns und sagte:
»Nun, Mr. Rainbird, es hat den Anschein, dass mein Vater bald zu uns
zurückkehrt.«
Rainbird
umklammerte das Treppengeländer. »Und Felice?« fragte er.
»Felice
nicht«, antwortete Jane. »Sie hat eine Mitgift und ist unabhängig.« Sie
berichtete ihm, was in dem Brief ihres Vaters stand.
»Hat
Felice geschrieben? Hat sie etwas von mir geschrieben?«
»Nein«,
sagte Jane. »Haben Sie denn einen Brief erwartet?« Rainbird schüttelte traurig
den Kopf. »Nein, natürlich nicht.« Er ging langsam die Treppe hinab. Es dauerte
einige Zeit, bis er es über sich brachte, den anderen Dienern zu erzählen, was
es Neues gab.
Das erste, was Mr.
Nevill sagte, nachdem er mit Jane an jenem Nachmittag ausfuhr, war, dass er von
Lord Tregarthan einen Brief bekommen habe.
»Wirklich?«
fragte Jane mit gespielter Gleichgültigkeit. Er hatte ihr nicht geschrieben.
Warum sollte er auch? Wieder einmal begrub sie ihre Hoffnungen. Sie war ein
amüsanter Zeitvertreib für ihn gewesen, mehr nicht.
Schließlich
merkte Mr. Nevill, wie traurig sie schaute, und fragte sie, ob es ihr nicht gut
gehe.
»Nein«,
antwortete Jane kurz angebunden.
Mr.
Nevill brachte die Pferde unter einem Baum zum Stehen und sah sie besorgt an.
»Sie wissen, dass Sie mit mir reden können, nicht wahr?« sagte er.
Jane
konnte mit ihm nicht über ihre Liebe zu Lord Tregarthan sprechen, aber sie
hatte plötzlich das Gefühl, dass sie ihm ihre anderen Befürchtungen anvertrauen
konnte. Sie schüttete ihm ihr Herz aus und erzählte ihm die ganze Geschichte
von Clara, von dem Fest in der Queen Street und von der Hand mit dem Dolch.
Mr.
Nevill hörte bis zum Schluss schweigend zu. Dann nahm er seinen Biberhut mit
dem gebogenen Rand ab und kratzte sich verwundert den Kopf. »Sie sagen, dass
Bullfinch und Gillespie da waren? Aber sie sind beide äußerst angesehene
Gentlemen. Ich meine, normalerweise gehen City-Bankiers und königliche
Leibärzte nicht einfach hin und erstechen junge Damen.«
»Das Schlimme
ist«, sagte Jane, »dass sich die Leute immer durch Rang und Stellung blenden
lassen. Wenn Mr. Gillespie und Mr. Bullfinch einfach Mr. Bloggs und Mr. Jones
wären, Straßenkehrer von Beruf, dann würde jedermann schreien: Jane, einer von
ihnen war es. Haltet den Schurken!«
»Warum
besprechen Sie die Angelegenheit nicht mit Tregarthan weiter?« fragte Mr.
Nevill. »Auf seinen Schultern sitzt doch ein bemerkenswert schlauer Kopf. Er
wird spätestens morgen wieder bei Ihnen sein.«
»Ich
weiß nicht, ob ich ihn Überhaupt wiedersehen will«, sagte Jane mit feierlichem
Ernst. »Ich habe es mir noch nicht überlegt.«
»Aber
das können Sie doch nicht sagen!« rief Mr. Nevill ärgerlich aus. »Ich habe Sie
die ganze Zeit besucht und mich um Sie bemüht, damit sich Ihnen kein anderer
Mann nähert, Er hat mir aufgetragen, mich um Sie zu kümmern. Außerdem hat er
geschrieben, dass er sich darauf freut, Sie wiederzusehen, und ich weiß bei
Gott nicht, was
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