02 Ich bin so Fry: Meine goldenen Jahre
Vermittlung auftragen. Man teilte die gewünschte Nummer mit und legte auf. Fünf Minuten oder eine halbe Stunde später, je nach Lust und Laune, läutete das Telefon, und man wurde verbunden. Fast jede Nacht gegen zwei oder drei schreckte mich das aggressive Läuten des Telefons aus dem Schlaf.
»Ja?«
»Ihre Verbindung mit Rom, Italien …«
»Ich habe nicht gebeten, mit Rom verbunden zu werden.«
»Mein Fehler. Falsche Nummer. Danke Ihnen.«
Beim Frühstück verfiel ich in die Gewohnheit, mich mit einigen der Dauergäste zu unterhalten, fast alles Schauspieler oder Theaterleute. Einer meiner bevorzugten Gesprächspartner war Raymond Burr, von enormem Körperumfang, freundlich und fröhlich trotz seines gewohnheitsmäßig müden Bluthundblicks. Er fragte mich doch tatsächlich, ob ich ihm raten würde, wieder als
Perry Mason
im Fernsehen aufzutreten.
»Können sich denn junge Leute daran erinnern?«
»Nun, ich muss gestehen, dass es vor meiner Zeit war«, sagte ich. »Aber
Ironside
hab ich geliebt.«
»Danke. Man will
Ironside
nicht mehr fortsetzen, aber man spricht davon, eventuell
Perry Mason
weiterzumachen. Haben Sie den nie gesehen?«
»Ich bin sicher, das Fernsehen könnte eine gute Anwaltsserie gebrauchen. Er war doch Anwalt, oder?«
»Meine Güte. Das muss ich den Produzenten sagen. Ich habe einen smarten jungen Engländer kennengelernt, und der hatte noch so gut wie nichts von Perry Mason gehört. Meine Güte.«
Wenn Raymond als Gesprächspartner nicht greifbar war, stand in einer anderen Ecke des Frühstücksraums das fast schon antike royale Ehepaar des Broadways zum Plausch zur Verfügung, Hume Cronyn und Jessica Tandy. Sie sprachen mich an, indem sie über mich sprachen.
»Ach, sieh doch, Liebling, da ist wieder dieser Bursche aus England. Ich wüsste gern, wie seine Proben verlaufen.«
»Gar nicht schlecht«, erwiderte ich. »Das Ensemble finde ich großartig.«
»Er sagt, das Ensemble ist großartig! Ob er wohl darauf vertraut, dass es ein großer Erfolg wird?«
»Na ja, wissen Sie. Es liegt wohl ganz im Schoß der Götter. Womit ich wohl eher den Schoß der Kritiker im Sinn habe.«
»Er nennt die Kritiker Götter, Liebling, hast du das gehört? Götter!«
Als die Proben anfingen, lernte ich Aspekte der amerikanischen Arbeitsethik kennen. Der Konkurrenzkampf um einen Platz im Chorus war so hart, dass sich niemand je entspannte. Während der Freizeit brachten die Jungs und Mädels einander neue Schritte bei, übten Tonleitern oder wärmten sich je nach Tageszeit auf oderkühlten sich ab. Und tranken unentwegt Wasser. Wir haben uns inzwischen überall in der westlichen Welt daran gewöhnt, und man muss sich bewusst machen, dass es eine Zeit gab, als junge Amerikaner sich noch nicht nackt vorkamen ohne eine Flasche Wasser in der Hand.
Ansatzweise nahm ich auch Ausmaß und Bedeutung des Starkults wahr. Es ist ein Paradox, dass Amerika, die Republik, die uns befreit hat von den diskriminierenden Fesseln der Monarchie, der Klassenzugehörigkeit und sozialen Stellung, sich entscheidet, Stars mit Privilegien auszustatten, die weit über das hinausgehen, was einem europäischen Herzog oder Prinzen zugestanden wird. Wie unter wahren Aristokraten gelten die Prinzipien des
noblesse oblige
auch für Stars. Robert erzählte, dass sie einmal alle zusammen nach Upstate New York gefahren waren, um einen Werbespot fürs Fernsehen zu drehen. Es war ein langer und ermüdender Tag bei schwülem Sommerwetter, die Chorus-Mitglieder schleppten sich in mittelalterlichen Rüstungen, perlenbestickten Anzügen oder pelzgefütterten Umhängen durch die Gegend, und ein neuer Take nach dem anderen wurde aufgerufen. Irgendwann bemerkte Robert, dass die Freundlichkeit, mit der man ihm begegnet war, allmählich nachließ. Weil er sich den Grund dafür nicht erklären konnte, fragte er Maryann Plunkett, ob er etwas falsch gemacht habe.
»Alle sind sehr müde und schwitzen, und ich nehme an, dass sie gern aufhören würden.«
»Ja, so geht es mir auch«, sagte Robert, »aber wieso geben sie mir die Schuld?«
»Robert, du bist der Star! Du bist der Anführer der Truppe.
Du
entscheidest, wann es Zeit ist, dass alle zusammenpacken und nach Hause gehen.«
»A-aber …« Natürlich, Robert war in der kooperativen »Wir sind doch alle Kollegen«-Atmosphäre des britischen Theaters groß geworden, in der niemand es je gewagt hätte, die anderen seinen Star-Status spüren zu lassen. Weil wir in Großbritannien ein
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