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02 Ich bin so Fry: Meine goldenen Jahre

02 Ich bin so Fry: Meine goldenen Jahre

Titel: 02 Ich bin so Fry: Meine goldenen Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fry
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dem
Ödipus
eine halbe Stunde später beginnen sollte. Alte Theaterhasen in Edinburgh sagten, ich würde es höchstens um Haaresbreite schaffen können, besonders wenn ich komplizierte Kostümewechseln oder viel Make-up entfernen und mich wieder neu schminken musste, aber Dinge um Haaresbreite zu schaffen gehörte zu meinen Lieblingsbeschäftigungen.
    Im Spätsommer ist Edinburgh für das Studententheater drei Wochen lang Mittelpunkt der Welt. Die nächsten fünf Jahre, wenn nicht länger, sollte ich Jahr für Jahr im Fringe auftreten. Die allermeisten Festivalbesucher verlieben sich auf der Stelle in die Stadt ebenso wie in die Veranstaltung. Nach zwei Tagen schmerzt die Schienbeinmuskulatur, weil sie steile Auf- und Abstiege wie die in der Stadt nicht gewohnt ist. Die unzähligen Steintreppen und schmalen Gassen verblüffen sämtliche Muskeln – und wenn sie die ebenen Straßen der Städte von East Anglia oder eine sitzende Lebensweise gewohnt waren, dann reagierten sie nicht nur verblüfft, sondern schockiert und empört. Das furchterregende Aussehen der steinalten, sich auftürmenden Wohnhäuser von Edinburgh mit ihren steinernen Treppen und den bedrohlichen Giebeln weckte in mir das Gefühl, jeden Moment könnten Burke and Hare, Deacon Brodie oder Mister Hyde geifernd auf den Stufen am Grassmarket auftauchen. Es tauchte jedoch nichts Furchterregenderes auf als junge Trunkenbolde, die »Spudulike« mit Käse aus Styroporkartons futterten. Damals waren diese Ofenkartoffeln zum Mitnehmen für Studentenbedürfnisse die günstigste Form sättigender Nahrung. Schottland war in der Tat ein fremdes Land. Die Kost war fremdartig: Außer »Spudulike« boten die Hühnchen-Imbisse als Außer-Haus-Gerichte auch die delikate
specialité du pays
an – frittierte Mars Bars, Wagon Wheels und Curly Wurlys. Die schottischen Geldscheine waren anders, die Sprache, das Wetter, das Licht, ja sogar die Kensitas-Zigaretten waren ungewohnt. Ein
pint of heavy
war der beliebteste Drink, wobei
heavy
für
bitter
stand oder zumindest eine schäumende Flüssigkeit bezeichnen sollte, die bemüht war, eine vage Ahnung davon zu vermitteln.
    Überall in der Stadt, an jeder Wand, in jedem Fenster, an allen Laternenpfählen und in jedem Hauseingang warben Plakate für Theateraufführungen, Komödien und eigenwillige Veranstaltungen, in denen sich alles mischte: von Zirkus, Music Hall, surrealistischer Ballonmanipulation und Ballett bis zu Straßenperkussion, maoistischem Limbotanz, Transvestitenoperette und Kettensägenjonglage. Ensemblemitglieder dieser Shows liefen in Kostümen durch die Straßen und überschütteten die gutgelaunt abweisenden Passanten mit Handzetteln und Freikarten. Am Eröffnungstag bewegte sich eine Parade von Festwagen langsam östlich über die Princes Street. Irgendwo in der Stadt, so hieß es jedenfalls, fand ein richtiges und offizielles Festival statt: Professionelle Theatergruppen und internationale Orchester führten Stücke auf und spielten Konzerte, aber alles für Erwachsene und in schicken Konzerthallen und Theatern. Wir hingegen sahen und wussten nichts davon, denn wir waren der Fringe, ein enormer pilzähnlicher Organismus, der seine Fäden durch Edinburgh bis hinein in die einfachsten Quartiere webte, in die seltsamsten Schuppen, Hütten, Lagerhäuser und Kaispeicher und in alle Kirchensäle und jeden Raum, der groß genug für einen Punk-Zauberer und ein paar Stühle war.
    Auf der Hälfte der Royal Mile, die vom Edinburgh Castle zur Georgian New Town verläuft, befand sich das Büro von Fringe, und dort standen Festivalbesucher in Schlangen an, um Karten zu kaufen. Es gab zwei Vorstellungen, die ich einfach sehen musste. Da war einmal dieFootlights-Revue, die ich wegen
Der Sturm
in Cambridge verpasst hatte, und zum anderen gab es eine Ein-Mann-Comedy-Show, die im Wireworks gezeigt wurde, einem umgebauten Fabrikgebäude hinter dem Fringe-Büro. Man hatte mich so oft gemahnt, den Künstler, einen Oxford-Absolventen namens Rowan Atkinson, nicht zu verpassen, dass ich es für angebracht hielt, mich in die Schlange einzureihen und Bares hinzulegen, um für mich und das
Ödipus
-Ensemble Eintrittskarten zu kaufen.
    Es warteten schlechte Nachrichten, als ich den Anfang der Schlange erreichte.
    »Ooh, die Vorstellung ist ausverkauft, mein Lieber.«
    »Tatsächlich?«
    »Tut mir leid … was würden Sie denn sonst … Moment mal.«
    Sie nahm den Telefonhörer ab, und während sie zuhörte, was am anderen Ende der

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