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02 Ich bin so Fry: Meine goldenen Jahre

02 Ich bin so Fry: Meine goldenen Jahre

Titel: 02 Ich bin so Fry: Meine goldenen Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fry
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Artaud at Rodez
verantwortlich gewesen war, und sie hatte die Rolle des mordlüsternen Gefolgsmannes mit Jonathan Tafler besetzt. Eine Krankheit ließ ihn jedoch in letzter Minute ausfallen, und das war für Pip ein schwerer Schlag, denn sie und Jonathan waren ein entzückendes Liebespaar. Ich spielte König Duncan – eine herrliche Rolle auf so einer Tournee, denn er stirbt ziemlich früh, und so konnte ich meine Freizeit darauf verwenden, die Städte zu erforschen, in denen wir unser Quartier hatten, und zurück sein, wenn der Vorhang fiel, gespickt mit Informationen über die besten Bars und die günstigsten Restaurants. Die ETG war 1957, in meinem Geburtsjahr, von Derek Jacobi, Trevor Nunn und anderen gegründet worden und hatte sich den beklagenswerten Ruf erworben, allzu häufig über die Stränge zu schlagen und es an Ernsthaftigkeit und Anstand mangeln zu lassen. Es wurde gemunkelt, dass die Stadt Grenoble so weit gegangen war, sämtlichen Theatertruppen aus Cambridge ein für alle Mal den Auftritt innerhalb ihrer Mauern zu verbieten, nachdem es irgendwann Mitte der siebziger Jahre bei einem Empfang des Bürgermeisters zu einer üblen Selbstdarstellung der ETG in betrunkenem Zustand gekommen war. Wenn man den Erzählungen Glauben schenkt, dürfte es sich eher um eine
Selbst entblößung
im Zustand der Trunkenheit gehandelt haben. Unsere Truppe war nicht so schlimm, aber wir benahmen uns auf der Bühne daneben. DerAnblick von Sitzreihen andachtsvoller Schweizer Schulkinder, die ihre Shakespeare-Ausgabe auf dem Schoß haben und den Text Zeile für Zeile voller Eifer verfolgen, lässt einen britischen Schauspieler kurzfristig zum Teufel werden. Bevor sich der Vorhang öffnete, wurde ein »Wort des Tages« ausgegeben, und dem Schauspieler, der das Wort am häufigsten unterbrachte, winkte ein Preis. Ich weiß noch, dass ich eines Abends in Heidelberg »Keinen Wiesel gibt’s, / Der Seele Bildung in des Wiesels Gesicht zu lesen« sagte. »Es war ein Wiesel, auf das ich ein Wiesel gründete.« Und so weiter.
    Ein Kollege namens Mark Knox, der viele Rollen übernommen hatte, einschließlich der des Boten, der Lady Macduff verkündet, dass der böse Macbeth auf dem Weg sei und ihr Schlimmes antun wolle, stellte fest, dass seine Warnrede nach der Melodie von »Greensleeves« gesungen werden konnte. Eben das tat er, einen Finger am Ohr, zur großen Verblüffung eines Berner Publikums. »When shall we three meet again?« der drei Hexen erwies sich, mit nur minimaler Silbenverrenkung, als singbar nach der Melodie von »Hark the Herald Angels Sing«.
    Barry Taylor, der in Ian Softleys
Sturm
des Theaterclubs BATS in der May Week den wimmernden Caliban gespielte hatte und jetzt in letzter Minute herbeigerufen worden war, um Jonathan Tafler zu ersetzen, brachte es inmitten all dessen fertig, einen grandiosen Macbeth auf die Bühne zu bringen. Wenn ich früh genug von meinen Erkundungstouren durch die Stadt zurück war, stand ich in der Kulisse und sah voller Bewunderung zu, wie es ihm gelang, über die dummen Scherze hinweg oder manchmal auch, indem er sie einbezog, mordlüsterne Brutalität, selbstzerstörerisches Schuldbewusstsein,brodelnde Wut und grässlichen Schmerz auszudrücken, wie ich es noch nicht besser gesehen hatte. Es ist natürlich eine Binsenweisheit, dass ein Amateurensemble stets der Ansicht ist, sich mit dem besten professionellen Theater messen zu können: Das ist selten berechtigt, aber manchmal gibt es Amateurauftritte, auf die ein Profi stolz wäre, und der von Barry Taylor als Macbeth war so einer. Zumindest in meiner Erinnerung.
    Mehr Zeit als auf der Bühne verbrachten wir damit, in einem Wallace-Arnold-Bus zwischen den einzelnen europäischen Städten umherzukutschieren. Sich immer neue Spiele auszudenken und Beschäftigungen zu finden, um die Zeit totzuschlagen, wurde zur Besessenheit. Den meisten von uns stand der Tripos in Englisch bevor, und eines der Spiele, mit denen wir uns beschäftigten, verlangte, die wichtigsten Werke der Literatur, die wir nicht gelesen hatten, auf einem Zettel zu notieren. Ich sammelte die Zettel ein und las laut die Titel vor, zu denen
Hamlet
gehörte,
Farm der Tiere
,
David Copperfield
,
Stolz und Vorurteil
,
Der große Gatsby
,
Warten auf Godot
… nennen Sie ein Meisterwerk, dessen Lektüre obligatorisch ist, und es fand sich jemand im Bus, der es nie gelesen hatte. Sich in Scham zu winden ob des Ausmaßes unserer Ignoranz war so angenehm wie demütigend. Zu

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