02_In einem anderen Buch
Vielleicht hatte mich der Verlust meines
Mannes betäubt und gegen Panikattacken immunisiert.
Vielleicht war es sogar eine Art Abwechslung, dass ich die
Welt retten durfte.
THURSDAY NEXT
– private Tagebücher
Die Forschungs-und Entwicklungsabteilung von Consolidated
Useful Stuff lag in einem großen Gebäudekomplex auf dem
ehemaligen Feldflughafen in Stratton. Am Eingang gab es eine
gläserne Wachstation, aber ich hatte Glück. Rein zufällig war
der Werkschutz unterwegs, um irgendwas zu erledigen, und ich
konnte unbemerkt in das Gelände eindringen. Ich rieb mir den
Arm, der unerklärlicherweise stark schmerzte, und folgte den
Hinweisschildern zum Gebäude der MycroTech Developments.
Während ich noch überlegte, wie ich in das Gebäude hineinkommen sollte, hörte ich plötzlich neben mir eine Stimme.
»Hallo, Thursday!«
Ich war zu Tode erschrocken, aber es war nur Wilbur, Mycrofts langweiliger Sohn.
»Will«, sagte ich, »ich hab keine Zeit, dir irgendwas zu erklären, aber ich muss unbedingt sofort in die Abteilung für Nanotechnologie.«
»Warum denn?« fragte Wilbur, fummelte aber bereits mit
seinen Schlüsseln herum.
»Es wird gleich ein Unfall passieren.«
»Das ist völlig unmöglich!« sagte er hochnäsig und stieß die
Tür auf. Dahinter blinkten Dutzende von roten Lampen, und
obendrein war ein schriller, auf-und abschwellender Heulton
zu hören.
»Himmel!« rief Wilbur. »Glaubst du, dass das alles seine
Richtigkeit hat?«
»Ruf jemand an, der etwas davon versteht !«
»Gut.«
Er griff nach dem Telefon. Aber wie zu erwarten funktionierte es nicht. Er versuchte ein anderes, aber das war ebenfalls
außer Betrieb.
»Ich hole Hilfe!« schrie er und zerrte am Türknopf. Aber der
brach bloß ab. »Was zum –«
»Die Entropie nimmt dauernd ab, Wilbur. Benutzt ihr irgendwo Supertraumsoße bei euren Experimenten?«
Er führte mich zu einer Vitrine, wo ein kleines Tröpfchen
rosa Schleim von zwei starken Magneten in der Luft gehalten
wurde.
»Da sind sie. Die allerersten Nano-Roboter. Natürlich noch
ein reines Experiment. Es gibt noch Probleme damit, sie unter
Kontrolle zu halten. Sobald ihre Nanomechanismen begonnen
haben, organisches Material in Soße zu verwandeln, hören sie
einfach nicht mehr damit auf.«
Ich warf einen Blick auf die Uhr und stellte fest, dass kaum
noch zwölf Minuten übrig waren. »Und warum arbeiten die
Roboter jetzt nicht?«
»Das magnetische Feld verhindert, dass sie sich bewegen,
und außerdem ist die Vitrine gekühlt. Die Temperatur liegt bei
-20°, das sind zehn Grad weniger, als der Mechanismus braucht,
um zu arbeiten – he, was war das?«
Die Lampen hatten geflackert.
»Stromausfall?«
»Kein Problem, Thursday – wir haben drei Notstromaggregate. Die fallen bestimmt nicht alle gleichzeitig aus. Das wäre
sehr –«
»–unwahrscheinlich. Ich weiß. Aber sie werden ausfallen.
Und dieser Zufall wird der größte – und letzte gewesen sein.«
»Aber, Thursday, das ist doch nicht möglich!«
»Im Augenblick ist alles möglich. Wir befinden uns mitten in
einem Feld gesteigerter, hoch koinzidentieller EntropieVerminderung.«
»In einem was?«
»Wir stecken mitten im Technobabbel.«
»Aha!« sagte Wilbur. So etwas hatte er bei Mycro-Tech schon
öfter erlebt.
»Was passiert, wenn das letzte Aggregat ausfällt?«
»Dann werden die Nano-Roboter freigesetzt«, sagte Wilbur
grimmig. »Sie sind so programmiert, dass sie so lange Puddingsoße mit Erdbeergeschmack produzieren, wie sie organisches
Material finden. Erst verarbeiten sie dich und mich, dann den
Tisch da – und wenn morgen früh jemand kommt und die Tür
aufmacht, wird er auch zu Puddingsoße verarbeitet und dann
können die Nano-Roboter draußen weiterarbeiten.
»Und wie schnell arbeiten sie?«
»Na ja«, sagte Wilbur und dachte angestrengt nach. »Die Roboter sind so konstruiert, dass sie sich während der Arbeit selbst
duplizieren. Es ist wie eine Kettenreaktion: Je mehr organisches
Material sie erfassen, desto mehr beschleunigt sich der Prozess.
Der ganze Planet? Dafür brauchen sie vielleicht eine Woche.«
»Und es gibt nichts, was sie aufhalten könnte?«
»Nicht, dass ich wüsste«, sagte Wilbur betrübt. »Das Beste ist,
man lässt sie gar nicht erst anfangen – wie bei allen von Menschen verursachten Katastrophen.«
Aornis!« brüllte ich, so laut ich konnte. »Wo bist du, zum
Teufel?«
Keine Antwort.
»AORNIS!«
Und dann antwortete sie.
Weitere Kostenlose Bücher