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02_In einem anderen Buch

02_In einem anderen Buch

Titel: 02_In einem anderen Buch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jasper Fforde
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hineingelesen, nehme ich an.«
    »Hast du das mal versucht?« Ich schüttelte den Kopf.
    »Vielleicht solltest du es probieren«, sagte sie ernsthaft. »Als
    du das erste Mal in Jane Eyre warst, damals als Kind, hast du es
    doch auch durch einfaches Lesen geschafft, oder?«
    »Ich glaube schon.«
    »Dann versuch's doch einfach«, sagte sie und griff sich aufs
    Geratewohl ein Buch vom Regal.
    Ich nahm es und sagte: »Ausgerechnet Die Geschichte von
    Flopsy-Häschen?«
    »Na ja, irgendwo muss man ja anfangen, oder?« sagte Großmutter kichernd. Ich half ihr, die blauen Leinenschuhe auszuziehen und sich auf dem Bett auszustrecken.
    »Hundertundacht!« murmelte sie. »Ich fühle mich wie die
    Häschen in der Anzeige für die Curazell-Batterien, du weißt
    schon, die mit den No-Name-Batterien.«
    »Für mich bist du eine hundertprozentige Curazell, Omi!«
    Sie lächelte zufrieden, schloss die Augen und lehnte sich in
    die Kissen. »Lies mir was vor!«
    Ich setzte mich und schlug den kleinen Beatrix-Potter-Band
    auf. Noch einmal warf ich Oma Next einen fragenden Blick zu.
    »Lies!«
    Also las ich ihr das Kaninchenbuch vor, von Anfang bis Ende.
    »Und?« fragte sie.
    »Nichts«, sagte ich traurig. »Gar nichts.«
    »Nicht mal das Surren eines Rasenmähers oder der Geruch
    von Gartenabfällen?«
    »Nein, nicht das Geringste.«
    »Pah!« sagte Oma. »Lies es noch mal vor!«
    Also las ich es noch einmal vor, und dann noch ein drittes
    Mal.
    »Immer noch nichts?«
    »Nein, Omi.« Allmählich wurde es langweilig.
    »Wie siehst du die Gestalt von Mrs Tittlemouse?«
    »Energisch und intelligent«, sagte ich. »Vielleicht ein bisschen schwatzhaft, und zu viel Namedropping. Aber jedenfalls
    ist sie Benjamin intellektuell weit überlegen.«
    »Wie kommst du denn darauf?« fragte Oma.
    »Na ja, dass er seinen Kindern erlaubt, im Freien zu schlafen,
    zeigt doch, dass er ziemlich verantwortungslos ist. Wenn Flopsy
    nicht gekommen wäre …«
    »Kann sein«, sagte Oma. »Aber ist es denn sehr klug von ihr,
    dass sie vom Fenster aus zuschaut, als Mr und Mrs McGregor
    feststellen, dass sie mit dem verfaulten Gemüse reingelegt
    worden sind?«
    Da hatte sie Recht.
    »Das ist eine erzählerische Notwendigkeit«, erklärte ich ihr.
    »Ich glaube, es ist einfach spannender so. Sonst wüßte man ja
    nicht, wie die Sache ausgeht. Ich vermute, wenn Flopsy hätte
    allein entscheiden können, wäre sie einfach wieder in den Bau
    geschlüpft, aber an dieser Stelle hat ihr Beatrix Potter vorgeschrieben, was sie zu tun hat.«
    »Interessante Theorie«, sagte Oma und wackelte mit den Zehen, um ihren Kreislauf in Schwung zu halten. »Mr McGregor
    ist ein übler Bursche, nicht wahr?«
    »Nö«, sagte ich, »das ist ein Missverständnis. Ich sehe Mrs
    McGregor als die eigentlich Böse in dieser Geschichte. So eine
    Art Lady Macbeth. Sein angestrengtes Zählen und beständiges
    Kichern deutet auf eine gewisse Beschränktheit hin, die es Mrs
    McGregors weitaus aggressiverer Persönlichkeit erlaubt, ihn zu
    beherrschen. Außerdem ist ihre Ehe gefährdet. Sie bezeichnet
    ihn als ›vertrottelten alten Narren‹ und behauptet, das verfaulte
    Gemüse sei nur ein dummer Streich, um sie zu ärgern.«
    »Sonst noch was?«
    »Nö. Ich glaube das wär's. Gute Geschichte, oder?«
    Aber Oma gab keine Antwort. Sie kicherte still vor sich hin.
    »Du bist also immer noch hier?« sagte sie. »Du bist also nicht
    im Haus von Mr und Mrs McGregor?«
    »Nö.«
    »Woher weißt du dann, dass sie ihn einen ›vertrottelten alten
    Narren‹ genannt hat?«
    »Das steht hier im Text.«
    »Da würde ich aber lieber noch mal nachsehen, Schätzchen.«
    Ich schlug die entsprechende Seite auf und entdeckte zu
    meiner Verblüffung, dass Mrs McGregor tatsächlich nichts
    dergleichen gesagt hatte. »Merkwürdig«, sagte ich. »Das hab ich
    wohl selber erfunden.«
    »Vielleicht«, sagte Oma. »Aber vielleicht hast du es auch gehört. Schließ deine Augen und beschreib mir die Küche bei den
    McGregors.«
    »Lila gestrichene Wände«, murmelte ich. »Ein großer Herd
    mit einem Wasserkessel, der fröhlich auf dem Feuer summt. An
    der einen Wand ist eine Anrichte, da steht Geschirr mit Blumenmuster drauf, und auf dem blank geputzten Küchentisch
    steht eine Vase mit Blumen –«
    Ich schwieg.
    »Und woher weißt du das alles?« fragte Oma. »Wenn du
    nicht tatsächlich da warst?«
    Hastig griff ich nach dem Buch und überflog die Seiten mit
    der schlichten Prosa und den hübschen Aquarellen

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