02_In einem anderen Buch
was.«
»Ich habe befürchtet, dass Sie so etwas sagen«, murmelte Spike und rieb sich das Kinn. »Aber der Schock –!«
»Sie müssen es ihr ja nicht so direkt sagen. Vielleicht lassen
Sie erst mal ein paar Exemplare von Van Helsing's Gazette
herumliegen.«
»Verstehe«, sagte Spike erfreut. »So eine Art Vorbereitung
und Abhärtung – ein paar angespitzte Pflöcke, Knoblauchkränze und Kreuze in der Garage – ja, das ist eine Idee –«
»Und die Werwölfe könnten Sie auch gelegentlich in Ihre
Gespräche einfließen lassen.«
»Ein Superplan, Thursday«, sagte Spike glücklich. »Moment
mal.«
Das Funkgerät meldete ihm ein Ereignis von unbeschreiblicher Scheußlichkeit in der Nähe von Branbury, und er warf den
Motor an. »Ich muss los! Denken Sie an mein Angebot. Ich
habe immer Arbeit für Sie, wenn Sie welche brauchen.«
Und mit kreischenden Reifen verschwand er die Straße hinunter.
Ich schmuggelte Pickwick vorsichtig in meine Wohnung zurück
und las die Zeitung. Ich war froh, dass die Entdeckung des
Cardenio noch keine Schlagzeilen machte, aber ich konnte mich
nicht konzentrieren. Ich starrte aus dem Fenster und überlegte,
wie ich Landen zurückkriegen könnte. Wie sollte ich in Poes
Gesammelte Gedichte hineinkommen? Wie sollte ich in irgendwelche Bücher hineinkommen? Ich wusste nicht mal, wo ich
anfangen sollte. Das heißt, bei genauerem Nachdenken war das
nicht ganz richtig. Es war höchste Zeit, eine Institution zu
besuchen, die dem Delphischen Orakel so nahe kam wie nur
irgendetwas, was ich je kennen lernen würde: Oma Next.
Sie spielte gerade Tischtennis, als ich im SpecOps-Altenheim
Abendrot eintraf. Sie war dabei, ihre mindestens zwanzig Jahre
jüngere, aber trotzdem fast achtzigjährige Gegnerin von der
Platte zu putzen. Einige nervöse Altenpfleger sahen ihr zu und
versuchten sie händeringend zu stoppen, ehe sie sich ein Bein
brach. Denn Oma war richtig alt. Ihre rosa Haut sah so zerknittert aus wie eine getrocknete Pflaume, und ihr Gesicht und ihre
Hände waren von Altersflecken bedeckt. Sie trug wie üblich ein
blaukariertes Kleid und begrüßte mich von der anderen Seite
des Raumes, als ich hereinkam.
»Ah!« sagte sie. »Thursday! Machst du ein Spielchen mit
mir?«
»Meinst du nicht, dass du für heute genug gespielt hast?«
»Unsinn! Schnapp dir einen Schläger und dann spielen wir
um den Aufschlag!«
Ich nahm einen Schläger, und im selben Moment fegte der
Ball auch schon an mir vorbei.
»Ich war noch nicht so weit!« protestierte ich, und da sauste
schon der nächste Ball übers Netz. Ich schlug danach, erwischte
ihn aber nicht.
»Ob man so weit ist, weiß man immer erst nachher«, sagte
sie. »Ich dachte, das wüsstest du besser als jeder andere, Thursday.«
Ich knurrte und parierte den nächsten Ball. »Wie geht's, Omi?«
»Ach«, sagte sie, hüpfte leichtfüßig an die Platte und gab mir
einen Schmetterball zurück, »ich fühl mich so alt. Alt und
müde. Der Sensenmann steht direkt neben mir, ich kann schon
sein Eau de Cologne riechen.«
»Aber Omi!«
Meine nächste Rückgabe verpasste sie und erklärte sofort:
»Der war aus!« Dann machte sie eine Pause. »Willst du ein
Geheimnis wissen?« fragte sie und stützte sich leicht auf die
Platte.
»Ja, gern«, sagte ich und benutzte die Unterbrechung, um die
Bälle einzusammeln, die wild in der Gegend verstreut lagen..
»Ich bin zum ewigen Leben verdammt!«
»Vielleicht kommt dir das nur so vor, Omi!«
»Du unverschämtes Küken!« erwiderte sie, als sie mir meinen
Aufschlag zurückgab. »Mit guten genetischen Vorgaben oder
statistischen Besonderheiten allein habe ich es nicht auf hundertacht Jahre gebracht. Dein Punkt.«
Ich schlug erneut auf, und diesmal verpasste ich ihre Rückgabe. Wieder machte sie eine Pause.
»Ich bin in meiner Jugend in einige Merkwürdigkeiten verwickelt gewesen«, erklärte sie. »Und das Ergebnis ist jetzt, dass
ich diese sterbliche Hülle nicht ablegen kann, ehe ich nicht die
zehn langweiligsten Klassiker gelesen habe.«
Ich blickte ihr in die hellen Augen. Das war kein Witz gewesen.
»Wie weit bist du denn schon?« fragte ich und schlug den
nächsten Ball ins Aus.
»Ja, genau ist ja das Problem«, sagte sie und schlug erneut
auf. »Ich lese etwas und denke, das ist das langweiligste Buch
auf der Welt. Ich beende die letzte Seite und gehe mit einem
zufriedenen Lächeln ins Bett – und am nächsten Morgen geht es
mir besser denn je
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