02_In einem anderen Buch
noch, dass es im New Forest ein Diatryma gibt«, ergänzte ich müde.
»Woher wissen Sie das?«
Ich hatte genug und kümmerte mich nicht mehr um ihn.
Genau achtunddreißig Minuten nach unserer Abfahrt hörte
man ein leises Klick!, als die magnetischen Riegel einschnappten, die verhinderten, dass wir wieder nach London zurückfielen. Wir waren in Sydney. Nachdem die Sicherheitsbeleuchtung
erloschen war und das Vakuum in der Druckschleuse sich
gefüllt hatte, ging ich zum Ausgang, vermied aber jeden weiteren Kontakt mit dem Technolangweiler, der immer noch von
einer Weltverschwörung und biologischen Waffen erzählte.
Snell, der den Drop offensichtlich genossen hatte, begleitete
mich in die Ankunftshalle, wo er auf seine Uhr blickte und
sagte: »Tja, vielen Dank für das nette Gespräch. Ich muss jetzt
los und Tess mal wieder verteidigen, denn so wie es Hardy
ursprünglich geschrieben hat, wird sie freigesprochen. Hören
Sie, suchen Sie nach ein paar mildernden Umständen für Ihre
Handlungen. Und wenn Ihnen nichts einfällt, erfinden Sie
etwas. Am besten richtig große, fette Lügen. Je haarsträubender,
umso besser.«
»Meineid? Das ist Ihr bester professioneller Ratschlag?«
Snell hüstelte höflich.
»Der geschulte Anwalt hat viele Pfeile im Köcher, Miss Next.
Die Zeugen der Anklage sind Mrs. Fairfax und Grace Poole. Das
ist natürlich ein Problem, aber ehe der Fall nicht wirklich verloren ist, soll man nicht aufgeben. Ach übrigens, könnten Sie bitte
dem zauberhaften Flakk-Mädchen diesen Brief geben? Ich wäre
Ihnen ewig dankbar dafür.«
Er zog einen zerknitterten Briefumschlag aus seiner Tasche,
drückte ihn mir in die Hand und wollte davonlaufen.
»Halt, warten Sie!« rief ich hinter ihm her. »Wo und wann ist
denn die Verhandlung?«
»Ach, hab ich das nicht gesagt? Tut mir leid. Die Anklagebehörde hat den Sitzungssaal aus Kafkas Prozess für die Verhandlung gewählt. Ich hätte mir etwas anderes gewünscht, das können Sie mir glauben. Morgen um 9 Uhr 25. Sprechen Sie
deutsch?«
»Nein.«
»Dann werde ich beantragen, dass die Verhandlung in einer
englischen Übersetzung stattfindet. Kommen Sie bitte an das
Ende von Kapitel Zwei; wir sind direkt nach Herrn K. dran.
Und denken Sie daran, was ich gesagt habe. Bis dann!«
Und noch ehe ich ihn fragen konnte, wie ich Kafkas Meisterwerk betreten sollte, war er auch schon verschwunden.
Ich nahm den Mantelexpress von Sydney nach Tokio, der
eine halbe Stunde später abging und nahezu leer war. Von
Tokio nach Osaka nahm ich den Skyrail und traf morgens um
eins im Geschäftsviertel ein, vier Stunden nachdem ich aus
London abgereist war. Ich nahm ein winziges Hotelzimmer,
aber ich konnte nicht schlafen. Ich starrte stundenlang auf die
blinkenden Lichter hinaus und dachte an Landen.
15.
In Osaka
Dass ich die Fähigkeit des In-die-Bücher-Springens besaß,
erfuhr ich zum ersten Mal in der Schule in Osaka, wo mein
Vater Englischunterricht gab. Ich war damals noch ein kleines Mädchen, und man hatte mir gesagt, ich sollte aufstehen
und eine Seite aus Pu der Bär vorlesen. Ich fing bei Kapitel
Neun an – es regnete und regnete und regnete –, musste
dann aber recht abrupt aufhören, weil ich spürte, dass ich
plötzlich bei den Tieren im Hundertsechzig-Morgen-Wald
stand. Ich klappte das Buch zu und kehrte durchnässt und
verwirrt in mein Klassenzimmer zurück. Später suchte ich
den Wald aus der Sicherheit meines Kinderzimmers erneut
auf und erlebte viele herrliche Abenteuer dort. Aber schon
im zartesten Alter war ich sehr darauf bedacht, die Geschichte durch mein Auftreten nach außen hin nicht zu verändern. Außer natürlich, dass ich Christopher Robin Lesen
und Schreiben beigebracht habe.
O. NAKIJIMA
– Bücherreisen
Osaka war weniger schick als Tokio, aber genauso geschäftig.
Ich frühstückte im Hotel, kaufte mir die neueste Ausgabe der
Far Eastern Toad. Es war sehr heilsam, die Angelegenheiten zu
Hause mal aus fernöstlicher Sicht zu betrachten. Dann überlegte
ich, wie ich es anstellen sollte, in dieser Millionenstadt eine
einzelne Frau zu finden. Ich kannte ihren Nachnamen und ich
wusste, dass sie perfekt englisch sprach, aber sonst fehlte mir
jeder konkrete Hinweis. Als Erstes bat ich an der Rezeption um
eine Fotokopie der entsprechenden Einträge im Telefonbuch.
Zu meinem Entsetzen stellte sich heraus, dass der Name Nakijima recht häufig war. Es gab nicht weniger als 2729
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