02 Jesses Maria: Wechseljahre
Wutanfall. Isa. Typisch. Die hatte nichts besseres zu tun, als Leute anzuschwärzen.
Herr Templin entschuldigte sich später bei mir und bestellte Isa Schmidt in sein Büro. Das Geschrei war bis in den Sozialraum zu hören.
Hier in Köln ist das mit dem ÖPNV anders. Da mussman sich nicht schämen, wenn man KVB fährt. Es kennt einen ja auch keiner. Hier fahren sogar die Banker Straßenbahn. Mit Krawatte.
Neulich habe ich eine Frau im Abendkleid gesehen, in der Bahn! Ich hab mir dann vorgestellt, was bei uns los wäre, wenn ich im langen Fummel in den vierhundertzwölfer Bus einstiege. Der Busfahrer würde mich wahrscheinlich direkt einweisen lassen. Nicht so in Köln.
Wenn die hier so empfindlich wären wie wir in OWL, müssten sie sowieso jeden zweiten einweisen lassen.
Allein, weil die hier schon im November in ihren Karnevalsverkleidungen Bahn fahren. Vernünftig ist das schon, denn der Rheinländer an sich trinkt sich ja gerne einen. Wenn die aber in der Gruppe Bahn fahren und ihren Flachmann im Brustbeutel mitführen und unverständliche Lieder singen … also das muss man mögen.
Vorhin diese fünf Frauen … alle im gleichen gelben Kükenkostüm aus Plüsch … „Jommer inne annere Kaschemm“ sangen die und lachten sich scheckig über ihr eigenes Kauderwelsch.
„Das gibt‘s bei uns nicht. Gibt ja auch keinen Karneval bei uns“, hab ich spontan zu der alten Dame neben mir gesagt.
„Ach Jottchen, dat is ja schrecklisch! Sie Arme!“ sagte die Oma und tätschelte mir die Hand.
Die Kölner sind ein Völkchen für sich.
Frauenfitness
Natürlich muss ich jetzt was für meine Figur tun. Ich habe meine Röllchen bestimmt nicht vom vernünftigen Essen und von zuviel Bewegung. Ich muss meine Ernährung umstellen und Sport treiben.
Eigentlich.
Schon in der Schule hab ich den Turnunterricht geschwänzt. Völkerball, Zirkeltraining, Bockspringen, das war alles nichts für mich. Als Mädchen hatte man ja immer eine gute Ausrede, wenn man sagte, man hätte die Tage unregelmäßig. Dann durfte man auf der Bank sitzen oder musste nur Hilfestellung geben, wenn die anderen ihre blöden Übungen machten.
Ich hab aber gelesen, dass es, egal wie alt man ist, immer noch früh genug ist, um irgendeinen Sport anzufangen. Damit bin ich beim Thema: irgendeinen Sport.
Welchen?
Ich hab mich ein bisschen schlau gemacht und mich über die Sportarten erkundigt, die man als „älterer Mensch“ (wie sich das anhört!) ausüben soll.
Conny macht Pilates. Das ist eine Art Gymnastik, bei der man sich auf seine Drüsen konzentrieren muss und dabei die Beckenbodenmuskeln anspannt. Oder so ähnlich. Auf die Drüsen konzentrieren. So ein Unsinn. Außer meinen Tränendrüsen und den Lymphdrüsen hinterm Ohr weiß ich nicht mal, wo die überhaupt sitzen.
Tamara geht zum Yoga. Das finde ich zwar interessant,weil man sich als ungeübter Mensch nicht so anstrengen muss, aber ich kann diesen speziellen Schneidersitz nicht. Wenn man schon die einfachsten Dinge in einer Disziplin nicht kann, hat‘s keinen Zweck. Man muss beim Yoga solche Sachen machen, die heißen Yama, Niyama, Asanas, Askese. Spiritistischer Firlefanz ist das, wenn Sie mich fragen.
Brigitte joggt. Das kann ich nicht. Wegen meinem Knie. Wenn man Knieprobleme hat, ist joggen sogar sehr gefährlich. Schade. Joggen hätte ich wirklich gut gefunden.
Frau Schweiger aus der Personalabteilung macht Nordic Walking. Das kommt für mich überhaupt nicht in Frage. Es sieht nämlich dermaßen bekloppt aus, wenn man mit Skistöcken, Handschuhen und Trainingsanzug dynamisch durch die Siedlung rennt. Wir haben hier keinen Wald, wo man das ungesehen tun könnte.
Frau Schweiger sagte, dass die Krankenkasse Nordic Walken bezahlt. Ja klar, so lernen die Leute immerhin früh genug, an Krücken zu gehen.
„Maria, kauf dir ein Trimm-Rad!“ hat Eva Hansmeier im Lottoladen gestern gesagt. Sie hätte eins im Wohnzimmer stehen, und daneben steht Rolfs Rudergerät. Er rudert, sie radelt und dabei gucken sie Tatort.
Sport im Wohnzimmer ist Quatsch. Man muss schon den inneren Schweinehund überwinden und vor die Tür gehen.
Ich habe um fünf einen Termin im Frauenfitnessstudio. Ich denke, das kann man machen. Da bin ich unter meinesgleichen und begegne keinen Bodybuildern undkeinen Muskelprotzen, die keine Ahnung von Frauen im klimakterischen Notstand haben.
„Frrau Jesse, frreu ich mich, dass Sie gekohmen sind“, sagt die bildhübsche Blondine hinter der Bar. Sie gibt mir die
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