02 Jesses Maria: Wechseljahre
sagt sie. Und dann meint sie, dass man auf einem Bein nicht stehen kann und schüttet uns noch einen doppelten ein. Wenn das so weitergeht, kann ich kein Fondue mehr essen. Das ist überhaupt die Idee.
Ich tue so, als wäre mir schlecht und geh nach Hause. Es war keine gute Idee, hierher zu kommen. Das hat schlechtes Karma.
Da arbeiten zwei Leute den ganzen Tag in Jobs, die sie beschissen finden, damit sie mit jemandem, den sie nicht ausstehen können, in einem Haus leben können, in dem sie sich nicht wohl fühlen.
Die sind irgendwie schon tot. Die haben nur vergessen umzufallen.
Der fünfzigste Geburtstag
Gabi Horstmann, meine Nachbarin aus dem Haus schräg gegenüber, feierte letzte Woche ihren fünfzigsten Geburtstag.
Wir sind zusammen zur Schule gegangen, so lange kennen wir uns schon. Warum sie mich eingeladen hat, obwohl wir in den letzten Jahren kaum miteinander zu tun hatten, weiß ich auch nicht. Vielleicht wollte sie unbedingt groß feiern, hat aber gar nicht genug Freunde, um den großen Saal im Bürgerhaus voll zu kriegen?
Ganz egal, ich hab gedacht, wenn ich ein Geschenk für zwanzig Euro kaufe und dafür den ganzen Abend umsonst essen und trinken kann, dann rechnet sich das.
Tamara hatte mir neulich ein „Kleines Schwarzes“ geschenkt, ein todschickes Etuikleid, passt mir auch wie angegossen, das hatte ich noch nie an, und nun war endlich eine Gelegenheit. Aber: Tamara hatte mir mit dem Kleid sozusagen eine Aufgabe gegeben, eine kreative Aufgabe, sehr anspruchsvoll.
Das kam so: Neulich, als ich wegen meiner Zustände zwei Wochen krank geschrieben war, hatte ich ziemlich viel Zeit. „Zustände“ nenne ich die Phasen, in denen ich ab und zu deprimiert bin. Das hätte auch mit den Wechseljahren zu tun, hat meine Gynäkologin gesagt.
Ich hab seit einiger Zeit eine Frau als Frauenärztin. Früher hatte ich immer einen Mann als Frauenarzt, jahrelang war ich bei Dr. Buschjost, und ich bin gar nicht auf die Idee gekommen, zu einer Frau zu gehen.
Einmal war ich beim Nachfolger von Dr. Buschjost, aber das ging nicht, gar nicht, denn der sah richtig toll aus und ich finde, dass gut aussehende männliche Gynäkologen eine wirkliche Zumutung sind.
Inzwischen sind fast alle meine Ärzte jünger als ich. Daran merkt man, dass man alt wird.
Beim Augenarzt oder beim Orthopäden ist mir das schnurzegal, aber bei so heiklen Themen wie Hitzewallungen, Orangenhaut, schwabbeligen Oberarmen und schleichendem Verlust der Libido kann ich nicht mehr zu einem Mann gehen.
Etwas peinlicheres als sich in meinem Alter vor einem vierzigjährigen Doktor auszuziehen und sich die schlaffen Brüste quetschen zu lassen - von untenrum ganz zu schweigen - gibt‘s ja wohl nicht. Also hab ich eine Frauenärztin. Ist eigentlich auch viel logischer, denn die kennt sich von Natur aus aus.
Jedenfalls bin ich manchmal sehr traurig oder schlecht gelaunt, manchmal sogar aggressiv und ein bisschen verzweifelt, ohne Grund eigentlich und aus heiterem Himmel, und meine Gynäkologin, sie ist selber um die fünfzig und weiß wirklich Bescheid, sie meinte, das sei eine leichte depressive Verstimmung infolge der starken Hormonschwankungen während der Wechseljahre. Ich müsste mich ausruhen, sehr viel Johanniskrauttee trinken, täglich mindestens eine Stunde spazieren gehen und sehr viel schlafen.
Viel schlafen, Kunststück, ich habe seit Monaten nicht mehr durchgeschlafen, das ist nämlich auch ein Symptom. Die Gynäkologin hat mich krankgeschrieben, undTamara, die gute Seele, hatte dann die Idee des Jahres.
„Tante Maria“, hat sie gesagt, „Tante Maria, du musst dir ein Ventil suchen. Schreib dir von der Seele, was dich beschäftigt, schreib es auf, in einem Tagebuch, oder, noch besser: Dichte!“
Ich wurde ganz wuschig von Tamaras kreativem Tempo. Ich habe schon ein paar mal, wenn jemand Geburtstag hatte oder zu Weihnachten, gereimte Briefe geschrieben. Das kam immer gut an. Auch Tamara findet diese Reimgeschichten ganz toll. Nun ist sie Galeristin und versteht was von Kreativität, deswegen vertraue ich ihr.
Sie sagte: „Tante Maria, was immer dir passiert: Schreib es einfach auf. Sei kreativ, du wirst dir selber auf die Spur kommen, wenn du ungefiltert aufschreibst, was dir in den Sinn kommt. Lass deine Gedanken schweifen, lass sie abschweifen und reime alle Ungereimtheiten deines Lebens.“
Das war der Satz, der gezündet hat!
Und als Tamara mir dann eine gebundene Kladde schickte, auf die sie auf einen wunderschönen
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