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02 - Keiner werfe den ersten Stein

02 - Keiner werfe den ersten Stein

Titel: 02 - Keiner werfe den ersten Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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immer schon so subtil?«
    »Von Geburt an«, antwortete Lynley.
    Lonan fuhr mit einem Ruck an, und schon waren sie auf dem Weg zur Dienststelle der Kriminalpolizei in Oban.

    Für Inspector Ian Macaskin von der Kriminalpolizei Strathclyde gab es im Leben nur eine Triebkraft: stolz sein zu können. Und sein Stolz bezog sich auf mehrere Bereiche, die nichts miteinander zu tun hatten. Zunächst einmal war da der Stolz auf die Familie: Er ließ seine Umwelt gern wissen, daß er die Statistik geschlagen hatte. Mit zwanzig hatte er seine siebzehnjährige Jugendliebe geheiratet und war auch heute noch, siebenundzwanzig Jahre später, mit ihr verheiratet. Er hatte zwei Söhne großgezogen und beide studieren lassen. Der eine arbeitete jetzt als Tierarzt, der andere war Meeresbiologe. Dann kam der Stolz auf den eigenen Körper. Einen Meter dreiundsiebzig groß, wog er heute nicht mehr als vor sechsundzwanzig Jahren bei Dienstantritt. Er war schlank und topfit dank dem allabendlichen Rudertraining, das er im Sommer auf dem Sound of Kerrera und im Winter in seinem Wohnzimmer auf der Rudermaschine hinter sich brachte. Sein Haar war seit zehn Jahren fast völlig ergraut, doch es war immer noch voll und dicht. Seine Arbeit war die dritte Quelle seines Stolzes. In seiner ganzen Laufbahn hatte er nicht ein einziges Mal einen Fall unerledigt zu den Akten legen müssen, und er verwendete beträchtliche Energie darauf, daß seine Leute von sich das gleiche sagen konnten. Er führte ein strenges Regiment und verlangte von seinen Beamten gründliche Arbeit, die niemals auch nur das kleinste Detail außer acht ließ. Um sicherzustellen, daß alles in seinem Sinne geschah, war er fast rund um die Uhr auf der Dienststelle anzutreffen. Immer lutschte er Pfefferminzbonbons oder kaute Kaugummi oder Kartoffelchips, um das einzige zu bekämpfen, worauf er nicht stolz war: seine schlechte Angewohnheit, Fingernägel zu beißen.
    Inspector Macaskin empfing die Gruppe aus London nicht in seinem Büro, sondern im Sitzungszimmer, einem engen, kleinen Raum mit unbequemen Stühlen, kümmerlicher Beleuchtung und schlechter Lüftung.
    Macaskin war überhaupt nicht erfreut über die Entwicklung der Dinge in diesem Fall. Er sah immer gern alles wohlgeordnet und sauber eingeteilt. Jeder hatte gefälligst seine ihm zukommende Rolle zu spielen. Opfer sterben, Polizeibeamte fragen, Verdächtige antworten, Spurensicherer sichten. Aber in diesem Fall war gleich von Beginn an alles auf den Kopf gestellt worden. Zwar hatte das Opfer sich an das Drehbuch gehalten und war kooperativerweise tot gewesen, doch statt der Polizei hatten die Verdächtigen die Fragen gestellt, und statt der Verdächtigen hatte die Polizei antworten müssen. Und was das Beweismaterial anging, so war das wieder eine ganz andere Sache.
    »Erklären Sie mir das noch einmal.« Lynleys Stimme war ruhig, enthielt jedoch einen tödlichen Unterton, der Macaskin verriet, daß Lynley von den sonderbaren Umständen, die zu seinem Einsatz in diesem Fall geführt hatten, nichts wußte. Das war gut. Es machte Macaskin den Mann von New Scotland Yard augenblicklich sympathisch.
    Sie hatten alle ihre Mäntel und Schals abgelegt und saßen um den Konferenztisch aus Fichtenholz. Nur Lynley nicht. Der stand, die Hände in den Taschen, in den Augen ein gefährliches Glimmen.
    Macaskin war nur zu gern bereit, seinen Bericht zu wiederholen. »Keine halbe Stunde war ich auf Westerbrae, da erhielt ich die Nachricht, meine Leute hier anzurufen. Der Chief Constable teilte mir mit, daß New Scotland Yard den Fall übernehmen würde. Das ist alles. Mehr war nicht aus ihm herauszukriegen. Abgesehen von der Anweisung, ein paar Leute auf Westerbrae zurückzulassen, hierher zu kommen und auf Sie zu warten. Wenn Sie mich fragen, hat da irgendein hohes Tier auf Ihrer Seite entschieden, daß der Fall Sache des Yard ist. Dann hat er unserem Chief Constable entsprechende Weisung gegeben, und, um den Schein zu wahren, haben wir um Hilfe ersucht. Die Hilfe sind Sie.«
    Lynley und St. James tauschten einen Blick. Dann sagte St. James: »Aber warum haben Sie die Tote weggebracht?«
    »Das war Teil der Anweisung«, antwortete Macaskin.
    »Verdammt merkwürdig, wenn Sie mich fragen. Die Zimmer versiegeln, die Leiche mitnehmen und zur Autopsie an den Pathologen übergeben, nachdem unser Amtsarzt den Totenschein ausgestellt hatte.«
    »Geteiltes Leid ist halbes Leid?« fragte Barbara ironisch.
    »Sieht so aus, nicht?« meinte Lynley.

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