02 - Keiner werfe den ersten Stein
»Inspector«, sagte er. »Wegen Lady Clyde.« Der Ton seiner Stimme veranlaßte die beiden Männer, ihr Gespräch zu unterbrechen. Verwundert sahen sie ihn an, und er fügte hinzu: »Was ihr Zimmer betrifft ...«
»Was ist damit?«
»Der Mörder scheint von dort gekommen zu sein.«
Lynley versuchte zu begreifen, was Helen mit einer Gruppe Schauspieler in Schottland tat, als Inspector Macaskin dies!neue Information auftischte.
»Wie kommen Sie denn darauf?« fragte er, in Gedanken noch bei seinem letzten Zusammentreffen mit Helen vor weniger als einer Woche in der Bibliothek seines Hauses in London. Sie hatte ein hinreißendes jadegrünes Kleid getragen, hatte seinen neuesten spanischen Sherry probiert - auf die ihr eigene unbekümmerte und witzige Art geplaudert und gelacht - und war dann sehr pünktlich gegangen, weil sie zum Abendessen verabredet gewesen war. Mit wem? fragte er sich jetzt. Sie hatte es ihm nicht gesagt, und er hatte nicht gefragt.
Macaskin, bemerkte er, beobachtete ihn mit der Miene eines Mannes, der eine Menge Neuigkeiten auf Lager hat und nur auf den richtigen Moment wartet, sie anzubringen.
»Weil die Flurtüre zu Miss Sinclairs Zimmer abgeschlossen war«, sagte Macaskin jetzt. »Als Mary Agnes heute morgen bei ihr klopfte und sich nichts rührte, mußte sie mit dem Hauptschlüssel öffnen.«
»Wo wird der aufbewahrt?«
»Im Büro.« Macaskin deutete auf den Plan. »Im Erdgeschoß im Nordwestflügel.« Er blickte wieder auf. »Sie sperrte die Tür auf und fand die Tote.«
»Wer hat Zugang zu den Hauptschlüsseln? Gibt es mehrere?«
»Nein, von jedem nur einen. Sie sind nur Francesca Gerrard und dem Mädchen, Mary Agnes, zugänglich. Sie liegen in der untersten Schublade von Mrs. Gerrards Schreibtisch, zu der wiederum nur sie und die kleine Campbell einen Schlüssel haben.«
»Sonst niemand?« fragte Lynley.
Macaskin blickte nachdenklich auf den Plan. Sein Blick wanderte langsam den unteren Nordwestkorridor des Hauses entlang. Er war Teil eines Gevierts, möglicherweise eines späteren Anbaus, und zweigte unweit der Treppe von der große!Eingangshalle ab. Er wies auf das erste Zimmer in diesem Flur.
»Da wohnt Gowan Kilbride«, meinte er gedankenvoll.
»So eine Art Laufbursche. Er könnte an die Schlüssel rangekommen sein, wenn er gewußt hätte, daß sie da liegen.«
»Und wußte er es?«
»Kann sein. Soviel ich weiß, hat Gowan in den oberen Räumen des Hauses im allgemeinen nichts zu tun. Er würde also die Hauptschlüssel nicht brauchen. Aber es kann natürlich sein, daß Mary Agnes ihm erzählt hat, wo sie liegen.«
»Halten Sie das für möglich?«
Macaskin zuckte die Achseln. »Möglich ist alles. Die beiden sind ja noch halbe Kinder. In dem Alter versucht man sich gegenseitig mit den komischsten Dingen zu importieren.«
»Hat Mary Agnes Ihnen gesagt, ob die Hauptschlüssel heute morgen an ihrem gewohnten Platz lagen? Oder ist es möglich, daß jemand sie herausgenommen und wieder zurückgelegt hatte?«
»Anscheinend nicht. Der Schreibtisch war abgesperrt wie immer. Aber dem Mädchen wäre es wahrscheinlich sowieso nicht aufgefallen, wenn jemand die Schlüssel entwendet und wieder hineingelegt hätte. Sie sperrte die Schublade auf, griff hinein und holte den Schlüsselbund heraus. Ob er genau an der Stelle lag, wo sie ihn zuletzt hingelegt hatte, weiß sie nicht. Sie hat ihn, wie sie sagte, das letzte Mal einfach hineingeworfen, die Schublade zugeschoben und abgesperrt.«
Lynley war erstaunt über die Menge von Informationen, die Macaskin in der kurzen Zeit in dem Haus zusammengetragen hatte. Er musterte den Mann mit wachsendem Respekt. »Diese Leute kennen sich doch alle, nicht wahr? Wieso hatte Joy Sinclair da ihre Tür abgeschlossen?«
»Da hat's gestern abend böses Blut gegeben«, warf Lonan ein, der etwas abseits in einer Ecke saß.
»Böses Blut? Wieso denn?«
»Ja. Das ist leider das einzige, was wir darüber von Gowan Kilbride erfahren konnten«, sagte Macaskin entschuldigend, »ehe Mrs. Gerrard ihn mit dem Befehl hinausschickte, auf New Scotland Yard zu warten. Er konnte uns nur berichten, daß es am Abend zu einer Auseinandersetzung gekommen war, an der offenbar alle Anwesenden beteiligt gewesen waren. Dabei scheint einiges in die Brüche gegangen zu sein. Einer meiner Männer fand im Müll Glas- und Porzellanscherben. Muß ziemlich heftig hergegangen sein.«
»Und Lady Clyde war auch in den Streit verwickelt?«
St. James wartete nicht auf eine
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