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02 - Keiner werfe den ersten Stein

02 - Keiner werfe den ersten Stein

Titel: 02 - Keiner werfe den ersten Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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Sinclair. Er kannte ihn von irgendwoher. Er hatte ihn kürzlich gesehen. Er blieb im Flur vor einer alten Truhe stehen und starrte nachdenklich auf die Porzellanschale, die auf ihr stand. Sinclair. Sinclair. Das schien so vertraut, gleich mußte es ihm einfallen. Das zartblaue Muster auf dem Weiß der Schale verwischte sich vor seinem Blick, die Figuren überschnitten sich, kreuzten sich, kehrten sich um ...
    Das war es. Nicht Joy Sinclair hatte er gelesen, sondern Sinclair's Joy - Sinclairs Freude. Es war eine Überschrift im Sonntagsmagazin der Zeitung gewesen. Ein nicht sonderlich originelles Wortspiel, dem der etwas rätselhafte Satz folgte: »Durch Finsternis zum ersten großen Triumph und auf dem Sprung zum Ruhm!«
    Er erinnerte sich, gedacht zu haben, daß sich das anhörte, als handle es sich um eine blinde Hochleistungssportlerin mit Olympiaambitionen. Er hatte immerhin genug von dem Bericht gelesen, um zu entdecken, daß sie keine Sportlerin war, sondern eine Autorin, deren erstes Stück von Kritik und Publikum mit Respekt aufgenommen worden war und deren zweites anläßlich der Neueröffnung des Agincourt Theatre uraufgeführt werden sollte; aber weiter war er nicht gekommen. Ein Anruf aus New Scotland Yard hatte ihn in den Hyde Park gerufen, wo man im Gebüsch in der Nähe der Serpentine Bridge die nackte Leiche eines fünfjährigen Mädchens gefunden hatte.
    Kein Wunder, daß er sich nicht sofort an Joy Sinclairs Namen erinnert hatte.
    Er hatte den Fall gerade erst abgeschlossen. Erschöpft von endlosen Tagen und Nächten, wünschte er sich nur noch Ruhe, um zu dem Mord und der Unmenschlichkeit, auf die er gestoßen war, Abstand zu bekommen.
    Aber es sollte nicht sein. Jedenfalls nicht hier und jetzt. Seufzend richtete er sich auf und ging in sein Zimmer, um zu packen.

    Constable Kevin Lonan haßte es, seinen Tee aus der Thermosflasche trinken zu müssen. Stets bildete sich auf dem Getränk ein ekelhafter Film, der ihn an den Schaum nach einem Bad erinnerte. Darum konnte er, als ihn die Umstände zwangen, sich die langersehnte Tasse Tee aus der verbeulte!Thermosflasche einzuschenken, auch nur einen Schluck hinunterwürgen. Den Rest goß er auf den Betonstreifen hinaus, der als Flugfeld diente. Er verzog sein Gesicht und wischte sich mit der Hand, die in einem dicken Handschuh steckte, den Mund ab. Dann schlug er ein paarmal kräftig mit den Armen, um sich warm zu machen. Im Gegensatz zu gestern war die Sonne herausgekommen und lag glitzernd, trügerische Frühlingsverheißung, auf den Schneewällen. Die Temperatur jedoch war immer noch weit unter Null. Und die dichte Wolkenwand, die von Norden herantrieb, versprach einen weiteren Schneesturm. Wenn die Truppe von New Scotland Yard hier noch landen will, muß sie sich beeilen, dachte Lonan grimmig.
    Wie zur Antwort hörte er gleich darauf von Osten das eintönige Knattern eines Hubschraubers, und einen Augenblick später kam eine Maschine der Royal Scottish Police in Sicht. Sie kreiste einmal über der Ardmucknish-Bucht, um das Terrain zu sondieren, ging dann tiefer und senkte sich langsam auf den Betonstreifen hinunter, den ein keuchender Schneepflug eine halbe Stunde vorher freigeschaufelt hatte. Die Rotorblätter drehten sich noch einen Moment unter ohrenbetäubendem Getöse, daß der Schnee von den Wächten am Rand des Flugfelds in Wirbeln in die Höhe stob.
    Eine dickliche, kleine Gestalt, von Kopf bis Fuß mumienhaft eingepackt, schob mit einem Ruck die Passagiertür des Hubschraubers auf. Sergeant Barbara Havers, sagte sich Lonan. Sie stieß die Bordtreppe hinunter, wie man eine Strickleiter von einem Baumhaus wirft, schleuderte drei Gepäckstücke abwärts, wo sie knallend auf den Beton schlugen, und stieg dann selbst die Treppe hinunter. Ein Mann folgte ihr. Er war sehr groß, sehr blond, trug trotz der Kälte keine Kopfbedeckung, jedoch einen vorzüglich sitzenden Kaschmirmantel, einen dicken Schal und Handschuhe. Das, dachte Lonan, mußte Inspector Lynley sein. Lonan beobachtete, wie er mit seiner Mitarbeiterin einige Worte wechselte. Sie wies zu dem Lieferwagen, und Lonan erwartete, daß sie jetzt zu ihm kommen würden. Statt dessen jedoch drehten sich beide zur Bordtreppe um, wo nun eine dritte Person mühsam Schritt für Schritt die Stufen herunterkam. Der Mann trug am linken Bein eine schwere Stahlschiene. Wie der Blonde hatte auch er nichts auf dem Kopf, und sein schwarzes Haar - lockig, viel zu lang, ungebärdig - flatterte im Wind um

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