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02 - Keiner werfe den ersten Stein

02 - Keiner werfe den ersten Stein

Titel: 02 - Keiner werfe den ersten Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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registrierte jeden einzelnen, während sie in den Stimmen auf Untertöne von Spannung, Schuldbewußtsein oder übermäßiger Nervosität lauschte. Robert Gabriel setzte sich zaghaft neben sie. Mit einem verlegenen Lächeln betastete er sein verschwollenes Gesicht.
    »Ich hatte noch keine Gelegenheit, dir für gestern abend zu danken«, sagte er leise und zärtlich. »Ich - es tut mir furchtbar leid, Renie. Es tut mir alles ganz entsetzlich leid, wirklich. Ich hätte gern mit dir gesprochen, nachdem sie mich im Krankenhaus verarztet hatten, aber du warst schon gegangen, und als ich bei dir anrief, sagte mir James, du seist in Joys Haus in Hampstead.« Er schwieg einen Moment nachdenklich.
    »Renie, ich habe mir gedacht - ich hoffte, wir könnten vielleicht -«
    Sie fiel ihm ins Wort. »Nein. Ich hatte gestern abend viel Zeit zum Nachdenken, Robert. Und ich habe nachgedacht. Gründlich. Besser spät als nie.«
    Gabriel verstand und wandte sich ab. »Ich kann mir vorstellen, zu was für einem Ergebnis du ausgerechnet im Haus deiner Schwester gekommen bist«, sagte er bedrückt.
    Das Eintreffen von Joanna Ellacourt ersparte Irene eine Antwort. In Begleitung von Stuart Stinhurst und ihrem Mann rauschte die Schauspielerin durch den Zuschauerraum zur Bühne.
    »Wir möchten in bezug auf die Kostüme das letzte Wort haben, Stuart«, sagte David Sydeham. »Und ich meine, in bezug auf alle Kostüme. Ich weiß, daß das nicht Bestandteil des ursprünglichen Vertrags ist, aber in Anbetracht all dessen, was bereits geschehen ist, halte ich es nur für recht und billig, diese Bedingung in den Vertrag aufzunehmen. Johanna ist der Meinung -«
    Joanna ließ ihren Mann nicht ausreden. »Ich möchte, daß die Kostüme deutlich zeigen, wer die Hauptrolle hat«, sagte sie pointiert, mit einem kühlen Blick zu Irene Sinclair.
    Stinhurst antwortete weder ihr noch ihrem Mann. Er wirkte stark gealtert und bewegte sich schwerfällig. Beinahe kraftlos schleppte er sich die kurze Treppe zur Bühne hinauf. Er schien seit gestern die Kleider nicht gewechselt zu haben. Das anthrazitgraue Jackett war zerknittert, die Manschetten seines Hemds hatten einen grauen Rand. Es war, als hätte er über Nacht alles Interesse an seiner äußeren Erscheinung verloren. Irene, die ihn beobachtete, fragte sich erschrocken, ob er den Tag der Wiedereröffnung des Theaters überhaupt noch erleben würde. Nachdem er sich gesetzt und Rhys Davies-Jones zugenickt hatte, begann die, Leseprobe.
    Etwa auf der Hälfte des Stücks ließ Irene es geschehen, daß sie einnickte. Es war so warm im Theater, die Luft auf der Bühne schwül, der Rhythmus der Stimmen hatte eine hypnotische Wirkung, so daß es ihr leichter fiel als gedacht, einfach abzuschalten. Sie kümmerte sich nicht mehr darum, ob sie ihr die Rolle abnehmen würden, die sie spielte; sie wurde wieder die Vollblutschauspielerin, die sie vor langen Jahren gewesen war, ehe Robert Gabriel in ihr Leben getreten war und ihr Selbstvertrauen mit den Demütigungen, die er ihr jahrelang privat und in aller Öffentlichkeit angetan hatte, untergraben hatte.
    Sie war sich sogar halb bewußt, daß sie zu träumen begonnen hatte, als Joanna Ellacourt ärgerlich sagte: »Herrgott noch mal, würde vielleicht jemand die Dame wecken? Ich habe keine Lust, mich hier durchzuackern, während sie vor sich hindöst wie eine alte Oma am Küchenfeuer.«
    »Renie?«
    »Irene!«
    Sie fuhr mit einem Rück in die Höhe und öffnete die Augen, erfreut, daß sie tatsächlich Verlegenheit spürte und einen roten Kopf bekam. »Bin ich eingeschlafen? Gott, wie peinlich. Bitte entschuldigt.«
    »Lange Nacht, hm, Schätzchen?« fragte Joanna spitz.
    »Ja - ich ...« Irene schluckte, lächelte flackernd, um de!Schmerz zu verbergen, und sagte: »Ich war fast die ganze Nacht in Hampstead und habe Joys Sachen durchgesehen.«
    Sie starrten sie entgeistert an. Irene war sehr zufrieden mit der Wirkung. Plötzlich verstand sie Jeremy Vinneys Zorn. Wie leicht, in der Tat, hatten sie alle ihre Schwester vergessen und waren zur Tagesordnung übergegangen, als sei nichts gewesen. Aber einer von euch wird stolpern, dachte sie bitter, dafür werde ich sorgen. Sie nahm ihre ganze Kraft zusammen und spürte mit Befriedigung, wie ihr die Tränen in die Augen traten.
    »Ich fand mehrere Tagebücher«, sagte sie mit zitternder Stimme.
    Als spürte Joanna Ellacourt, daß Irene hier eine Vorstellung gab, die ihr die Schau zu stehlen drohte, lenkte sie die Aufmerksamkeit

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