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02 - Keiner werfe den ersten Stein

02 - Keiner werfe den ersten Stein

Titel: 02 - Keiner werfe den ersten Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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lag schon auf der Klinke der Eingangstür zum Theater. Durch ihre Handschuhe fühlte sie die beißende Kälte des Metalls. Sie hielt es für überflüssig, Vinney danach zu fragen, wie er zu dieser Information gekommen war. Robert hatte es sich heute morgen trotz Rippenbruchs, zahlreicher Blutergüsse und eines blauen Auges nicht nehmen lassen, zur zweiten Leseprobe ins Theater zu kommen, und die Neuigkeit, daß man ihn am Abend zuvor zusammengeschlagen hatte, hatte sich unmittelbar nach seiner Ankunft wie ein Lauffeuer im ganzen Haus verbreitet. Die Mitglieder des Ensembles, die Bühnencrew, die Kostüm- und Maskenbildner ebenso wie die Produktionsassistenten haben zwar lauthals ihrer Empörung Ausdruck verliehen, aber es war leicht möglich, daß einer von ihnen Vinney heimlich angerufen und informiert hatte; einer vielleicht, der mit Robert Gabriel noch eine Rechnung zu begleichen hatte und ihm die öffentliche Blamage gönnte.
    »Sprechen Sie mich darauf an, weil Sie darüber schreiben wollen?« fragte Irene.
    Sie drückte die Tür auf und trat ins Haus. Vinney folgte ihr. Das Foyer war leer. Es war still im Gebäude. Nur der Geruch nach kaltem Zigarettenrauch verriet, daß die Schauspieler den ganzen Vormittag hier getagt hatten.
    »Was hat er Ihnen darüber erzählt? Keine Sorge, ich habe nicht die Absicht, darüber zu schreiben.«
    »Warum sind Sie dann hier?« Sie eilte zum Zuschauerraum, als sei er nicht vorhanden. Doch Vinney blieb hartnäckig an ihrer Seite. Kurz vor der schweren hohen Tür faßte er sie beim Arm und hielt sie zurück.
    »Weil Ihre Schwester meine Freundin war. Weil ich aus den Leuten vom Yard nicht ein einziges Wort herausbekommen kann, obwohl sie einen ganzen Nachmittag lang unseren melancholischen Lord Stinhurst ins Gebet genommen haben. Weil ich Stinhurst gestern abend trotz wiederholter Anrufe nicht erreichen konnte und weil mein Chef mir absolut verboten hat, auch nur ein einziges Wort über diese ganze Geschichte zu schreiben, solange wir nicht von irgendwelchen mysteriösen höheren Mächten grünes Licht bekommen haben. Alles, aber auch alles an dieser Sache stinkt zum Himmel. Ist Ihnen das gleichgültig, Irene?«
    Seine Finger bohrten sich in ihren Arm.
    »Das ist eine Unverschämtheit.«
    »Kann sein. Ich werde leicht unverschämt, wenn Menschen, die mir wichtig sind, umgebracht werden und die Leute zur Tagesordnung übergehen, als wäre nichts gewesen.«
    Sie starrte ihn zornig an. »Ach, und Sie glauben, mir sei gleichgültig, was meiner Schwester zugestoßen ist?«
    »Ich glaube, Sie freuen sich sogar darüber und bedauern es höchstens, daß Sie ihr nicht selbst den Dolchstoß versetzen konnten.«
    Seine Worte trafen Irene wie ein Schlag. Alle Farbe wich aus ihrem Gesicht. »Mein Gott, wie können Sie so etwas sagen? Es ist nicht wahr, und das wissen Sie genau.« Sie hörte, wie brüchig ihre Stimme klang.
    Mit einem Ruck riß sie sich von ihm los und stürzte in den Zuschauerraum. Nur verschwommen nahm sie wahr, daß er ihr folgte und sich in der Dunkelheit der letzten Reihe einen Platz suchte.
    Diese Konfrontation mit Vinney hatte sie vor dem Zusammentreffen mit den Ensemblemitgliedern wahrhaftig nicht gebraucht. Sie hatte ihre ganze Mittagspause darauf verwendet zu überlegen und zu planen, wie sie die Rolle spielen würde, auf die Sergeant Havers sie in der vergangenen Nacht vorbereitet hatte. Jetzt hatte sie alles vergessen. Das Herz schlug ihr bis zum Hals, ihre Hände waren feucht, und ihre Gedanken kreisten einzig um Vinneys gemeine Beschuldigung. Es ist nicht wahr, sagte sie sich immer wieder. Es ist nicht wahr, versicherte sie sich auf dem Weg zur leeren Bühne. Doch der innere Tumult ließ sich durch dieses simple Mittel der Verleugnung nicht befrieden, und da sie wußte, wieviel davon abhing, daß sie heute ihre Rolle gut spielte, griff sie auf einen alten Trick aus den Tagen der Schauspielschule zurück. Sie setzte sich an den Tisch, der in der Mitte der Bühne stand, legte ihre gefalteten Hände an die Stirn und schloß die Augen. So bereitete es ihr keine Mühe, wenig später, als sich Schritte näherten und sie die Stimme ihres Vetters hörte, in ihre Rolle zu schlüpfen.
    »Irene«, sagte Rhys Davies-Jones. »Ist dir nicht gut?«
    Sie hob den Kopf und sah ihn mit einem trüben Lächeln an. »Doch, doch. Alles in Ordnung. Ich bin nur ein bißchen müde.« Das reichte fürs erste.
    Nacheinander kamen die anderen. Irene hob den Kopf nicht, aber sie hörte sie,

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