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02 - Keiner werfe den ersten Stein

02 - Keiner werfe den ersten Stein

Titel: 02 - Keiner werfe den ersten Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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Sie, daß jemand Sie gehört hat?«
    »Um es bestätigen zu können, meinen Sie?« Sie schüttelte den Kopf, allem Anschein nach völlig unbekümmert darüber, daß ihrem Alibi so jede Glaubwürdigkeit fehlte. »Das Musikzimmer liegt völlig abseits im Nordostflügel. Ich kann mir nicht vorstellen, daß jemand etwas gehört hat. Es sei denn, Elizabeth war wieder mal unterwegs, um an den Türen zu horchen. Sie scheint eine Leidenschaft dafür zu haben.«
    Lynley ging auf diesen Seitenhieb nicht ein. »Wer war am Empfang, als Sie gestern ankamen?«
    Joanna spielte mit einer Strähne ihres feurig schimmernden Haars. »Abgesehen von Francesca erinnere ich mich an niemand besonderen.« Sie runzelte nachdenklich die Stirn.
    »Außer Jeremy Vinney. Der kam zur Salontür und sagte irgendwas. Daran kann ich mich erinnern.«
    »Merkwürdig, daß Sie sich gerade an ihn erinnern.«
    »Gar nicht. Vor Jahren hatte er eine kleine Rolle in einem Stück, mit dem wir in Norwich auftraten. Das erste, was mir gestern, als ich ihn wiedersah, durch den Kopf schoß, war, daß er heute noch genauso viel Ausstrahlung hat wie damals. Nämlich überhaupt keine. Er sah immer schon aus wie jemand, der gerade seinen Text vergessen hat und nicht weiß, wie er sich aus der peinlichen Situation retten soll. Armer Kerl. Die Bühne war bestimmt nicht das Richtige für ihn. Er ist ja auch viel zu plump und vierschrötig, um eine größere Rolle zu spielen.«
    »Wann sind Sie gestern abend in Ihr Zimmer zurückgekehrt?«
    »Das kann ich Ihnen wirklich nicht sagen. Ich habe nicht auf die Zeit geachtet. Ich habe mir einfach die Platten angehört, bis ich mich einigermaßen beruhigt hatte.« Sie blickte ins Feuer. Dann schüttelte sie den Kopf. »Nein, das stimmt nicht ganz. Ich wollte sichergehen, daß David eingeschlafen war, ehe ich kam. Aus Mitleid wahrscheinlich. Obwohl mir jetzt, wenn ich daran denke, schleierhaft ist, warum ich nach allem, was war, auch noch darauf bedacht war, ihm eine Demütigung zu ersparen.«
    »Demütigung?« fragte Lynley.
    Joanna lächelte flüchtig, ohne erkennbaren Grund. Es wirkte wie eine Ablenkung, ein Mittel, das Augenmerk des Publikums auf ihre Schönheit zu lenken anstatt auf ihre Darbietung. »David ist in dieser ganzen Vertragsgeschichte mit Robert Gabriel im Unrecht, Inspector. Und wäre ich früher ins Zimmer gekommen, so hätte er versucht, die Unstimmigkeit zwischen uns beizulegen. Aber -« Wieder wandte sie sich ab, fuhr sich mit der Zunge über die Lippen, als müsse sie Zeit gewinnen. »Es tut mir leid. Ich kann es Ihnen doch nicht sagen. Selbst auf die Gefahr hin, daß Sie mich für völlig unglaubwürdig halten. Es gibt einfach gewisse Dinge - ich weiß, daß David selbst es Ihnen nicht erzählt hätte. Ich konnte nicht ins Zimmer zurück, ehe er schlief. Ich konnte einfach nicht. Bitte, glauben Sie mir.«
    Lynley verstand, daß sie ihn bat, das Verhör zu beenden. Doch er sagte nichts, wartete vielmehr schweigend darauf, daß sie fortfahren würde. Und sie tat es schließlich. Ohne jemanden anzusehen, sprach sie weiter.
    »David hätte versucht alles wiedergutzumachen. Seit fast zwei Monaten schon. Ich weiß, er hätte es trotzdem versucht. Er hätte das Gefühl gehabt, es mir zu schulden. Und wenn es nicht geklappt hätte, wäre zwischen uns nur alles noch schlimmer geworden. Darum bin ich nicht ins Zimmer gegangen. Ich wollte ihn erst einschlafen lassen. Und er schlief auch, als ich kam. Ich war froh darüber.«
    Was Joanna Ellacourt da andeutete, machte noch schwerer verständlich, daß die Ehe zwischen ihr und Sydeham so lange gehalten hatte. Als wäre Joanna Ellacourt sich dieser Tatsache bewußt, begann sie nochmals zu sprechen. Ihre Stimme wurde scharf, sie war ohne Gefühl und ohne Bedauern.
    »David ist meine Geschichte, Inspector. Ich schäme mich nicht zu bekennen, daß er mich zu dem gemacht hat, was ich heute bin. Zwanzig Jahre lang war er mein unerschütterlichster Helfer, mein strengster Kritiker und mein bester Freund. So etwas wirft man nicht einfach weg, nur weil das Leben ab und zu ein bißchen schwierig wird.«
    Es war eine Treueerklärung, wie Lynley sie eindrücklicher kaum je gehört hatte. Dennoch fiel es ihm schwer, nicht an David Sydehams Urteil über seine Frau zu denken.

    Francesca Gerrards Schlafzimmer war weitab vom Hauptteil des Hauses in einer Ecke des oberen Nordostflügels, wo der Gang schmäler wurde und eine alte Harfe, auf der niemand mehr spielte, unter einem losen

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