02 - Keiner werfe den ersten Stein
Rohre sich losriß. Dampfendes Wasser sprühte in zischendem Bogen heraus.
»Scheiße!« schrie Gowan. »Gottverdammtes altes Mistding.«
Er packte einen Lappen, der im Spülbecken lag, und wickelte ihn um das Rohr, um es anfassen zu können, ohne sich noch einmal zu verbrennen. Bäuchlings auf dem Boden liegend, kämpfte er mit dem Rohr, während ihm ein feiner Strahl heißes Wasser über Gesicht und Haar lief, drückte es mit einer Hand wieder in die Öffnung, in die es gehörte, und suchte gleichzeitig mit der anderen nach dem Schraubenschlüssel, den er weggeworfen hatte. Als er ihn ganz hinten an der Wand ertastete, rutschte er ein paar Zentimeter näher, um ihn richtig greifen zu können. Seine Finger waren fast dort, als es in der Spülküche plötzlich rabenschwarze Nacht wurde. Ausgerechnet in diesem Moment mußte auch noch die einzige Birne im Raum durchbrennen. Schwaches Licht spendete nur noch der Boiler selbst, einen nutzlosen blutroten Schimmer, der ihm direkt ins Auge stach.
»Du widerliches altes Scheißding!« schrie er. »Du blöder alter Rosthaufen. Du -«
Ganz plötzlich spürte er, daß er nicht allein war.
»He, wer ist da? Kommen Sie her, helfen Sie mir.«
Niemand antwortete.
»Hier! Auf dem Boden!«
Nichts.
Er drehte den Kopf, spähte durch die Dunkelheit und sah nichts. Gerade wollte er wieder rufen - lauter diesmal, denn ihm begann es unheimlich zu werden -, als etwas ihm entgegensauste. Es hörte sich an wie der Angriff von mindestens fünf Leuten.
»He -!«
Ein Schlag traf ihn. Eine Hand packte ihn beim Hals und drosch seinen Kopf auf den Boden. Schmerz pochte in seinen Schläfen. Er ließ das Boilerrohr los, und das Wasser schoß ihm direkt ins Gesicht, in die Augen, verbrannte glühend heiß seine Haut. Er kämpfte wie ein Wahnsinniger, um sich zu befreien, doch die Hand stieß ihn erbarmungslos gegen das zischende Rohr, und das Wasser drang durch seine Kleider, kroch wie Feuer über seine Brust, seinen Magen, seine Beine. Die Kleidung aus Wolle klebte wie eine heiße, undurchlässige Hülle an seinem Körper.
Er versuchte in seiner Qual und seinem Entsetzen zu schreien. Doch ein Knie traf ihn hart im Kreuz, und die Hand wühlte sich in sein Haar, zog seinen Kopf herum und drückte sein Gesicht in die Pfütze kochendheißen Wassers, die sich auf dem Boden gebildet hatte.
Er spürte, wie sein Nasenbein splitterte, wie die Haut sich von seinem Gesicht löste, und gerade, als er begriff, daß er in dieser läppischen kleinen Wasserpfütze ertränkt werden sollte, hörte er das unverkennbare Klirren von Metall auf Stein.
Eine Sekunde später durchbohrte ein Messer seinen Rücken.
Das Licht ging wieder an. Eilige Schritte verklangen auf der Treppe.
7
»Die wichtigste Frage ist ja wohl, ob du Stinhurst seine Geschichte glaubst«, sagte St. James zu Lynley.
Sie waren in ihrem gemeinsamen Zimmer an der Ecke, wo der Nordostflügel des Hauses mit dem Hauptteil verbunden war.
Es war kein sonderlich großes Zimmer, mit Möbeln aus Buchenholz und Fichte eingerichtet, an den Wänden eine unaufdringliche, hellgestreifte Tapete. Vom Fenster aus konnte Lynley über einen Einschnitt hinweg zum Westflügel hinübersehen, wo Irene Sinclair sich mit einem Kleid über dem Arm im Zimmer hin und her bewegte, als könne sie sich nicht entscheiden, ob sie es anziehen solle oder nicht. Ihr Gesicht wirkte lang und schmal, ein bleiches, von schwarzem Haar umrahmtes Oval. Lynley ließ den Vorhang fallen und drehte sich um.
St. James war dabei, sich zum Abendessen umzuziehen, ein schwieriges Unterfangen, um so strapaziöser, da St. James' Schwiegervater nicht hier war, um ihm zu helfen. Für Lynley war das Schlimmste daran, daß er selbst an einem Abend trunkener Unachtsamkeit St. James' Gebrechen verschuldet hatte. Er hätte ihm so gern geholfen, aber er wußte, daß der Freund das Angebot höflich zurückweisen würde. Die Beinschiene war unverhüllt zu sehen, die Krücken lagen daneben, St. James löste die Schnürsenkel, und die ganze Zeit blieb sein Gesicht völlig unbewegt, als könne er sich nicht mehr erinnern, daß er vor zehn Jahren noch wendig und beweglich gewesen war wie eine Katze.
»Stinhursts Geschichte klang wahr, St. James. Man denkt sich bestimmt nicht ausgerechnet so eine Geschichte aus, um einer Mordanklage zu entgehen, was meinst du? Welchen Vorteil kann er sich davon erhoffen, seine eigene Frau schlechtzumachen? Im übrigen sieht es nach dieser Geschichte für ihn
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