02 - Keiner werfe den ersten Stein
wegen seiner Unverschämtheiten Ihrer Frau gegenüber, oder gibt es noch andere Gründe?«
»Keiner hier mag Gabriel besonders, Inspector. Er ist überall denkbar unbeliebt. Er wird nur geduldet, weil er so ein verdammt guter Schauspieler ist. Mir ist es offen gesagt ein Rätsel, warum statt Joy Sinclair nicht er ermordet wurde. Feinde hatte er jedenfalls genug.«
Eine interessante Feststellung, dachte Lynley. Aber noch interessanter war die Tatsache, daß Sydeham seine Frage nicht beantwortet hatte.
Macaskin und die Köchin hatten sich offenbar entschlossen, einen aufkeimenden Konflikt ins Wohnzimmer zu tragen. Zu gleicher Zeit, aber jeder mit seinem eigenen Anliegen, erschienen sie in der Tür. Macaskin bestand darauf, als erster gehört zu werden, und verwies die Köchin in den Hintergrund, wo sie so verzweifelt die Hände rang, als stünde ein Souffle auf dem Spiel.
Macaskin musterte David Sydeham mit raschem Blick von Kopf bis Fuß, als dieser hinausging, und wandte sich dann Lynley zu. »Wir haben alles Notwendige getan«, sagte er. »Sämtliche Fingerabdrücke sind gesichert. Die beiden Zimmer sind versiegelt. Die Leute von der Spurensicherung sind fertig. Der Handschuh wird im Labor untersucht.« Er wies mit einer kurzen Kopfbewegung zur Bibliothek und sagte kurz: »Soll ich sie rauslassen? Die Köchin sagt, sie hat gleich das Essen fertig, und die Leute würden sich gern frischmachen.«
Lynley sah es Macaskin an, daß er es nicht gewöhnt war, Befehle von einem anderen entgegenzunehmen. Die roten Ohren und die brummige Stimme verrieten, wie schwer es ihm fiel, einem anderen das Regiment zu überlassen.
Wie auf ein Stichwort schoß bei Macaskins Worten di!Köchin aus dem Hintergrund hervor. »Sie können die Leute doch nicht verhungern lassen.« Sie schien zu befürchten, die Polizei könnte die ganze Gesellschaft auf Wasser und Brot setzen, solange der Mörder nicht gefunden war. »Ich hab alles fertig. Die Leute haben ja den ganzen Tag nichts als ein Brötchen gegessen, Inspector. Im Gegensatz zur Polizei«, fügte sie vielsagend hinzu. »Die haben sich's den ganzen Tag gutgehen lassen, wie ich an meiner Küche sehen kann.«
Lynley klappte seine Taschenuhr auf und sah überrascht, daß es bereits halb neun war. Er selbst hatte nicht den geringsten Appetit, aber da die Spurensicherung ihre Arbeit abgeschlossen hatte, bestand kein Grund mehr, den Gästen das Abendessen und die, wenn auch eingeschränkte, Freiheit innerhalb des Hauses vorzuenthalten. Er nickte zustimmend.
»Dann fahren wir jetzt«, sagte Macaskin. »Constable Lonan lasse ich Ihnen da. Ich selbst komme morgen früh wieder. Einer von meinen Männern steht bereit, um Stinhurst auf die Dienststelle zu bringen.«
»Lassen Sie ihn hier.«
Macaskin öffnete den Mund, pfiff dann auf das Protokoll und sagte: »Und die Manuskripte, Inspector?«
»Ich kümmere mich darum«, erwiderte Lynley bestimmt.
»Beweismaterial zu verbrennen ist etwas anderes als Mord. Mit Stinhurst werden wir uns befassen, wenn es an der Zeit ist.« Er sah, wie Barbara Havers abwehrend die Hände hob, als wünsche sie, sich von dieser Meinung zu distanzieren.
Macaskin seinerseits schien nahe daran zu widersprechen, überlegte es sich dann aber anders. Er wünschte förmlich gute Nacht und sagte kurz: »Wir haben Ihre Sachen in den Nordwestflügel bringen lassen. Sie haben ein Zimmer mit St. James. Neben Helen Clydes neuem Zimmer.«
Weder die dienstlichen Meinungsverschiedenheiten noch die Bettenverteilung der Polizei interessierten die Köchin, die immer noch an der Tür stand, um endlich die kulinarische Frage gelöst zu sehen. »In zwanzig Minuten, Inspector«, sagte sie kurz und machte auf dem Absatz kehrt. »Seien Sie pünktlich!«
Endlich aus stundenlanger Gefangenschaft in der Bibliothek befreit, befanden sich die meisten der Gruppe noch in der großen Halle, als Lynley herauskam und Joanna Ellacourt bat, ihm ins Wohnzimmer zu folgen. Diese Aufforderung, die so bald nach dem Verhör ihres Mannes erfolgte, ließ die anderen aufhorchen, und sie warteten gespannt, wie die Schauspielerin reagieren würde. Es hatte wie eine freundliche Bitte geklungen, aber keiner der Anwesenden war so dumm zu glauben, daß sie einfach höflich abgeschlagen werden konnte.
Joanna Ellacourt schien jedoch genau diese Möglichkeit in Erwägung zu ziehen, offensichtlich zwischen schroffer Absage und feindseliger Zusage schwankend. Dann jedoch entschied sie sich für letzteres. Ihrer
Weitere Kostenlose Bücher