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02 - Keiner werfe den ersten Stein

02 - Keiner werfe den ersten Stein

Titel: 02 - Keiner werfe den ersten Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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Zehenspitzen durch Helen Clydes Zimmer getrippelt, in der Hoffnung, daß sie's nicht merken würde?«
    Lynley hatte nicht die Absicht, sich von dem Mann in ein Wortgefecht verwickeln zu lassen. »Als Sie heute abend die Bibliothek verließen, was haben Sie da getan?«
    »Ich bin hierher, in mein Zimmer, gegangen.«
    »Sofort?«
    »Natürlich. Ich wollte mich waschen. Ich fühlte mich völlig verdreckt.«
    »Welche Treppe haben Sie benutzt?«
    Gabriel kniff die Augen zusammen. »Wie meinen Sie das? Was gibt's denn hier sonst noch für eine Treppe? Die Treppe von der Halle natürlich.«
    »Nicht die gleich neben Ihrem Zimmer? Die Hintertreppe? Die Treppe zur Spülküche?«
    »Ich habe bis jetzt nicht mal gewußt, daß es die gibt. Ich habe nicht die Gewohnheit, in fremden Häusern herumzutappen und zusätzliche Zugangsmöglichkeiten zu meinem Zimmer ausfindig zu machen, Inspector.«
    Seine Antwort war klug, unmöglich zu überprüfen, wenn er in den letzten vierundzwanzig Stunden nicht in der Spülküche oder Küche gesehen worden war. Und doch hatte Mary Agnes ganz gewiß diese Treppe genommen, als sie in dieses Stockwerk heraufgekommen war. Und der Mann war nicht schwerhörig, die Mauern waren nicht so dick, daß man Schritte nicht gehört hätte.
    Lynley hatte den Eindruck, daß Robert Gabriel soeben seinen ersten Fehler gemacht hatte. Es gab ihm zu denken. Er fragte sich, was für Lügen ihm der Mann noch aufgetischt hatte.
    Inspector Macaskin steckte den Kopf zur Tür herein.
    Seine Miene war unbewegt, aber in seiner Stimme schwang Triumph, als er sagte: »Wir haben die Perlen gefunden.«
    »Die Gerrard hatte sie die ganze Zeit«, berichtete Macaskin.
    »Sie übergab sie widerstandslos meinem Beamten, als er in ihr Zimmer kam, um es zu durchsuchen. Ich habe sie ins Wohnzimmer geschickt.«
    Irgendwann nach ihrem früheren Zusammentreffen an diesem Abend hatte Francesca Gerrard beschlossen, sich mit einem bombastischen Sortiment an Modeschmuck herauszuputzen. Sieben Perlenketten in verschiedenen Farben von Elfenbein bis Onyx hatten sich zu der rostroten gesellt, und an beiden Armen hingen zahllose Armreifen, die bei jeder ihrer Bewegungen klirrten, als wäre sie in Ketten. Große runde Plastikohrringe mit knalligen purpurroten und schwarzen Streifen saßen an ihren Ohrläppchen. Aber nicht Exzentrik oder Eitelkeit schienen sie veranlaßt zu haben, sich so geschmacklos zu behängen. Vielmehr schien der Schmuck ein - wenn auch noch so fragwürdiges - Symbol ihrer Trauer zu sein, wie in anderen Kulturen die Asche, die sich die Frauen nach einem Todesfall aufs Haar streuen.
    Ihre Trauer und ihr Schmerz waren offenkundig. Einen Arm fest in den Leib gedrückt, eine Faust über der Nasenwurzel zwischen die Augenbrauen gepreßt, saß sie an dem Tisch in der Mitte des Zimmers und wiegte sich lautlos weinend hin und her wie ein Kind. Das waren keine Krokodilstränen. Lynley hatte Trauer oft genug erlebt, um zu wissen, daß die Gefühle dieser Frau nicht geheuchelt waren.
    »Holen Sie ihr etwas«, sagte er zu Barbara. »Whisky. Sherry. Irgend etwas. Aus der Bibliothek.«
    Barbara eilte davon und kam gleich darauf mit einer Flasche und mehreren Gläsern wieder. Sie goß etwas Whisky in eines der Gläser und drückte Francesca Gerrard mit einer Behutsamkeit, die bei ihr ungewöhnlich war, das Glas in die Hand.
    »Trinken Sie einen Schluck«, sagte sie. »Bitte. Das beruhigt ein bißchen.«
    »Ich kann nicht. Ich kann nicht.« Dennoch ließ Francesca zu, daß Barbara das Glas an ihre Lippen führte, trank widerstrebend einen Schluck, hustete, nahm noch einen Schluck. Dann sagte sie gebrochen: »Er war - ich stellte mir immer vor, er sei mein Sohn. Ich habe keine Kinder. Gowan - es ist meine Schuld, daß er tot ist. Ich habe ihn gebeten, für mich zu arbeiten. Er wollte eigentlich gar nicht. Er wollte nach London. Er wollte ein Mann wie James Bond werden. Er hatte große Träume. Und jetzt ist er tot. Und es ist meine Schuld.«
    Als hätten sie Angst, die Trauernde zu stören, suchten sich die anderen im Zimmer leise jeder einen Platz. Barbara setzte sich zu Lynley an den Tisch, St. James und Macaskin zogen sich in den Hintergrund zurück, wo Francesca sie nicht sehen konnte.
    »Fast immer ist Tod mit Schuldgefühlen verbunden«, sagte Lynley leise. »Ich trage genausoviel Verantwortung an dem, was Gowan zugestoßen ist. Ich werde es gewiß nicht vergessen.«
    Francesca sah überrascht auf. Sie schien ein solches Eingeständnis

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