02 - komplett
Susan zu schimpfen. „Und wieso kannst du nicht den anderen Schrank nehmen?“
„Er ist zu feucht, das habe ich dir schon vorhin erklärt. Und außerdem fürchterlich kalt, als wenn es darin Zugluft gäbe.“ Susan war über den Korb gebeugt und sah jetzt mit vor Ärger geröteten Wangen auf. „Vielleicht gibt es da einen Riss in der Wand, der die Feuchtigkeit durchlässt. Dieser Schrank hingegen ist knochentrocken.“
Hester unterdrückte einen Seufzer und überließ die beiden ihrem Disput. Finde etwas Nützliches zu tun, ermahnte sie sich streng. Und hör vor allem auf, dir über Guy Westropes Motive den Kopf zu zerbrechen.
Ein lautes Klopfen an der Tür riss sie aus ihren Gedanken. Schnell schaute sie in den Spiegel und stellte erleichtert fest, dass sie dieses Mal nicht den Eindruck eines zerzausten Wildfangs machen würde, wenn sie selbst die Tür öffnete.
Ein Lakai in Livree stand vor ihr. „Guten Tag, Madam. Seine Lordschaft bat mich, Ihnen das zu übermitteln. Möchten Sie, dass ich auf Antwort warte?“
Hester nahm den Brief und wies den Lakaien an, in der Halle zu warten. „Ja, einen Moment bitte.“ Sie ging in den Salon und brach das Siegel.
Es war eine Einladung des Earls.
Lord Buckland bittet um das Vergnügen, Miss Lattimer und Miss Prudhome zum Dinner einladen zu dürfen ... Montagabend um sieben Uhr sollten sie zu ihm kommen. Ganz am Ende der Nachricht stand in einer kühnen, weniger formellen Variante derselben Schrift: Ich habe eine äußerst respektable Gesellschaft geladen, Sie brauchen sich also keine Sorgen zu machen, dass Sie an den Tisch eines Junggesellen gebeten werden. Sagen Sie Ihrem Butler, Sie werden von einem Lakaien nach Hause begleitet. Darunter war mit kühnem Schwung der Buchstabe G gesetzt worden.
Sollte sie hingehen? Ohne sich die Zeit zu lassen, lange darüber nachzugrübeln, griff sie nach einem Blatt Papier und tauchte ihre Schreibfeder in das Tintenfass.
Miss Lattimer dankt Lord Buckland für seine freundliche Einladung ... Miss Lattimer und Miss Prudhome wären entzückt ...
Sie ging zurück in die Halle. Der Lakai nahm die Antwort mit einer respektvollen Verbeugung entgegen und kehrte zu dem Haus auf der anderen Seite der Straße zurück. Währenddessen sah Hester ihm mit eher gemischten Gefühlen nach. War es klug von ihr gewesen, die Einladung anzunehmen?
„Hat jemand geklopft, Miss Hester?“ Susan, in eine weite Schürze aus Sackleinen gehüllt, stand an der offenen Tür.
„Lord Buckland hat mich am Montag zum Dinner eingeladen. Er sagt, er habe auch andere Gäste gebeten, also sollte ich mir wohl keine Gedanken machen, aber glaubst du, es wird für Klatsch sorgen?“
„Weil Sie eine alleinstehende Dame sind?“ Susan kam näher und fügte auf Hesters fragenden Blick erklärend hinzu: „Die Schürze? Ich war gerade dabei, den Ofen zu säubern. Überall Ruß.“ Dann runzelte sie grübelnd die Stirn, während sie über Hesters Frage nachdachte. „In Portugal hätte es wohl nichts ausgemacht. Keiner hat Anstoß genommen, wenn Sie zu einer Gesellschaft eingeladen wurden, selbst in der Abwesenheit Ihres Papas. Aber in London, ich weiß nicht ...“
„Ich auch nicht“, seufzte Hester. „Ich glaube, ich kann es riskieren. Schließlich werden die anderen Gäste sicher so begeistert sein, von dem Earl eine Einladung erhalten zu haben, dass sie von mir dasselbe annehmen werden. Außerdem kann ich mich unter so vielen sicher fühlen“, fügte sie hinzu.
„Oh, Miss Hester! Sie denken doch nicht, er würde ...“
„Natürlich nicht“, unterbrach Hester sie entschieden, fragte sich allerdings insgeheim, was Susan gesagt hätte, wenn sie sie auf dem Schoß Seiner Lordschaft gesehen hätte – noch dazu in ihrem Schlafgemach. „Miss Prudhome wird außerdem bei mir sein. Was soll ich also anziehen?“
„Sie haben mehrere schöne Kleider.“ Susan schälte sich aus ihrer Schürze. „Ich schüttle sie gleich mal aus, damit Sie sich eins aussuchen können. Ich muss für die Kirche morgen sowieso etwas plätten.“
Obwohl Hester während ihrer Zeit mit Colonel Sir John Norton nie mit ihm hatte ausgehen können, hatte er es doch genossen, sie beim Dinner in den schönsten Kleidern und kostbaren Juwelen zu bewundern. Lieber John, dachte sie wehmütig, während sie Susan ins Schlafzimmer folgte. Eine Ehe war nicht infrage gekommen, davon hatte Hester ihn schließlich überzeugen können. Doch der Abscheu seiner Verwandten und der Skandal, der sie
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