02 - komplett
harmlose Erklärung für alles. Aber jetzt ...“
„Ich bin sicher, es gibt eine harmlose Erklärung.“ Guy Westrope lächelte zwar, Hester hingegen hatte das Gefühl, dass sein Blick kühl blieb. „Sind Sie sicher, es geht Ihnen besser?“
Hester nickte und ging mit ihm in den Flur hinaus. „Jethro ist wahrscheinlich schon wieder da und fragt sich, was in aller Welt das fremde Pferd an unserer Pforte zu suchen hat und was der Hut und die Handschuhe eines Gentleman vor unserer Haustür zu bedeuten haben.“
„Ein scheinbares Rätsel, für das es jedoch eine vollkommen logische Erklärung gibt.
Genau wie für die Perlen, da bin ich sicher“, erwiderte Guy gelassen und folgte ihr die Treppe hinunter und zur Tür hinaus. „Nein, keine Spur von Ihrem allzu jungen Butler. Ich kann also unentdeckt bleiben. Einen schönen Tag noch, Miss Lattimer.“
Er bückte sich, um Hut und Handschuhe aufzuheben, und führte sein geduldiges Pferd über die Straße zu seinem Haus. Hester suchte nach Ablenkung von ihren beunruhigenden Gedanken. Im Moment hatte sie nicht den geringsten Wunsch, sich mit ihnen zu befassen.
„Jethro“, flüsterte sie, „wo steckt der Junge nur?“ Sie ging durch das Haus zur Hintertür, und kaum war sie hinausgetreten, da sah sie ihn schon näher kommen. Er wankte unter dem Gewicht einer langen Leiter, und unter einem Arm trug er eine recht rostige Heckenschere.
„Da bist du ja“, sagte Hester freundlich. „Was hat dich aufgehalten?“
„Ein Gentleman wollte zu Besuch kommen.“ Jethro stellte die Leiter mit einem erleichterten Stöhnen ab. „Er kam über die Felder geritten und durch die hintere Pforte in den Garten. Er sei gerade in der Nähe, sagte er, und wollte wissen, ob Sie Besuch empfangen. Und ich habe ihm gesagt, dass es heute nicht geht, weil Sie doch die Möbel erwarten. Aber dass er danach kommen kann. Ist das in Ordnung, Miss Hester?“
„Ja, natürlich. Wer war es denn?“
„Sir Lewis Nugent von Winterbourne Hall.“
„Dann muss er der Sohn von Sir Edward sein, der mir das Haus verkaufte, kurz bevor er starb.“
„Ja, das muss er sein, Miss Hester, weil er Trauer trug. Sehr guter Schneider“, fügte er mit Kennermiene hinzu, „aber nicht so gut wie der vom Earl. Seine Lordschaft hat natürlich auch eine blendende Figur. Das hilft.“
„Und zweifellos auch das nötige Geld“, meinte Hester trocken. Je weniger sie an Guy Westropes bewundernswerte Gestalt dachte, desto besser. Sie wusste nicht, wie es ihm gelungen war, sich in nur zwei Tagen Zutritt zu ihrem Schlafgemach zu verschaffen und sie dazu zu überreden, ihn beim Vornamen zu nennen. Und er nahm entschieden zu viel Raum in ihren Gedanken ein.
„Jethro, du warst doch heute Morgen nicht in meinem Schlafzimmer, oder?“
„Natürlich nicht, Miss Hester. Stimmt etwas nicht?“
„Die Perlen lagen wieder auf dem Boden, aber die Schale stand noch genau wie vorher auf der Frisierkommode.“
Zu ihrer Enttäuschung bot Jethro ihr keine einleuchtende Erklärung, sondern starrte sie fassungslos an. Schließlich brachte er leise hervor: „Das ist seltsam, Miss Hester.“
„Kann sonst jemand hineingekommen sein? Vielleicht ein Dieb, der die Perlen stehlen wollte und sie dann fallen ließ, als ein Geräusch ihn störte?“
„Könnte sein.“ Jethro runzelte grübelnd die Stirn. „Die Hintertür stand offen, und Susan und Miss Prudhome waren nicht im Haus. Jemand hätte sich von hinten hereinschleichen können.“
„Es müsste schon ein sehr kühner Dieb sein.“ Hester seufzte. „Es schien ein so nettes Dorf zu sein. Nun müssen wir misstrauisch sein und unsere Türen abschließen. Ich werde Susan warnen.“
5. KAPITEL
Miss Prudhome kam im selben Moment wie die Gattin des Vikars, und so hatte Hester keine Gelegenheit, sie nach den Perlen zu fragen, sondern musste sofort ihren Gast begrüßen. Mrs. Bunting war ebenso wohlgerundet wie ihr Mann und genauso herzlich zu den Neuankömmlingen ihrer Gemeinde.
Nachdem sie im Salon mit raschelnden Röcken Platz genommen hatte, strahlte sie Hester und Maria nach dem ersten Austausch höflicher Komplimente an. „Nun, meine liebe Miss Lattimer, wie ich höre, benötigen Sie Hilfe im Haus. Ich kann Ihnen Mrs. Dalling und Mrs. Stubbs wärmstens empfehlen. Beide sind verwitwet und anständige Frauen, die ihre Familien mit Sparsamkeit und harter Arbeit ernähren.“
„Sehr schön, Mrs. Bunting. Ich folge gerne Ihrer Empfehlung. Darf ich Ihnen Tee
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