02 - komplett
Haus jederzeit wieder ab. Tatsächlich glaube ich sogar, dass es meine Pflicht wäre.“
„Ich danke Ihnen, aber ich fühle mich sehr wohl“, antwortete Hester entschieden.
„Über jedes Haus, das so lange unbewohnt war, erzählt man sich Geschichten.“
In diesem Moment gab der Butler bekannt, dass serviert werden könne.
Offenbar hatte Guy Mrs. Bunting gebeten, die Rolle der Gastgeberin zu übernehmen, denn sie saß ihm gegenüber am langen Speisetisch. Hester war der Platz neben Guy und Major Piper und gegenüber von Mrs. Redland zugewiesen worden.
Beim ersten Gang widmete sie sich, wie es sich gehörte, Major Piper – einem schmächtigen Mann um die fünfzig, der recht schüchtern zu sein schien, wodurch er ein wenig ruppig wurde. Mit viel Geduld gelang es ihr, ihm zu entlocken, dass er ein Major bei der Marine gewesen war und wegen einer Verwundung aus dem Dienst entlassen wurde. Zu spät wurde ihr bewusst, dass sie mehr von ihrem Wissen über militärische Dinge enthüllt hatte als beabsichtigt, denn der Major fragte sie, ob sie Verwandte bei der Armee habe. Und so erklärte sie zurückhaltend, ihr Vater sei Major während des Krieges auf der Iberischen Halbinsel gewesen und 1812 gefallen.
Warum sie glaubte, dass Guy ihrem Gespräch zuhörte, hätte sie nicht sagen können.
Er wandte ihr nicht den Kopf zu und unterbrach auch nicht die Konversation mit Mrs.
Redland. Und dennoch wusste sie, dass er jedem ihrer Worte lauschte.
Und selbst wenn, tadelte sie sich. In England wimmelt es nur so von Waisen, die ihre Väter im Krieg verloren haben. Anzunehmen, dass irgendjemand in dieser kleinen, verträumten Gemeinde etwas von einer in Ungnade gefallenen jungen Dame gehört haben könnte, würde bedeuten, ihre eigene Wichtigkeit zu hoch einzuschätzen.
Während der erste Gang abgetragen wurde, setzte sie ein höfliches Lächeln auf und wandte sich Guy zu. Erschrocken stellte sie fest, dass er sie mit so ungewöhnlicher Intensität betrachtete, dass sie schon fürchtete, ihre Frisur müsse sich gelöst haben.
„Oh nein, das hat sie doch nicht, oder?“, flüsterte sie ihm zu.
„Was?“, erwiderte er genauso leise und zwinkerte ihr belustigt zu.
„Mein Haar. Sie sahen mich plötzlich so ...“
„Ich versichere Ihnen, Ihr Haar ist die Vollkommenheit selbst, Miss Lattimer. Gerät es denn so oft in Unordnung, dass es Ihrer Meinung nach der einzige Grund sein muss, warum ein Gentleman nicht den Blick von Ihnen nehmen kann?“
Hester errötete und schaute hastig zu Miss Redland hinüber, falls sie diesen unverhohlenen Flirtversuch gehört haben sollte. Zu ihrer Erleichterung war die gute Dame in ein hitziges Gespräch mit Mr. Bunting über die Blumenarrangements in der Kirche vertieft.
„In jedem Fall bringt es meine Zofe zur Verzweiflung“, gab sie offen zu und beschloss, den zweiten Teil der Bemerkung zu überhören.
„Vielleicht ist es das äußere Zeichen für Ihr Ungestüm“, gab Guy zu bedenken und legte ihr ein Stück Poulardenbrust auf den Teller. Wieder die unmissverständliche Belustigung in seiner Stimme und noch etwas, das Hester bis ins Innerste erschauern ließ.
Plötzlich ganz atemlos, wandte sie den Blick ab und suchte Ablenkung, indem sie Major Piper dankte, der ihr die Bratensauce reichte. Insgeheim jedoch kam ihr wieder der Gedanke, dass Guy die Verkörperung des idealen Mannes für sie war.
Wie unvernünftig von ihr, solche Gedanken zuzulassen, selbst wenn ihr Ruf nicht befleckt wäre. Lord Buckland gehörte nicht nur zum Hochadel und stand somit gesellschaftlich weit über ihr, er war auch ein Mann, dem sie nicht ganz vertraute.
Doch als sie es nicht länger hinauszögern konnte, führte sie ihr Gespräch mit Guy fort. „Zum Glück hat sich das Wetter zum Besseren gewendet. Ständiges Nieseln ist so bedrückend, finden Sie nicht auch?“, fragte sie ihn. Guys Meinung über das Wetter war ihr herzlich gleichgültig, aber das schien das harmloseste Thema zu sein.
„In der Tat“, stimmte er mit einer Ernsthaftigkeit zu, die Hester zeigte, dass er sich über sie lustig machte. „Ich wusste nicht, dass Ihr Vater bei der Armee diente.“
„Wie sollten Sie auch?“, erwiderte sie mit einem Lächeln, um ihrer kecken Antwort die Spitze zu nehmen. Da sie nicht unhöflich erscheinen wollte, fügte sie widerwillig hinzu: „Er war unter Wellington auf der Iberischen Halbinsel und fiel bei einer Schlacht in der Nähe von Vittoria.“
Guy warf ihr einen Blick zu, der ihr ohne
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