02 - komplett
banale Beileidsbezeugungen sein ganzes Mitgefühl ausdrückte. Er sagte nur schlicht: „Sie müssen sehr stolz auf ihn sein.“
„Das stimmt“, antwortete sie leise, und ehe sie es sich versah, begann sie, ihm Dinge anzuvertrauen, die nur sehr wenige Menschen wussten. „Wir standen uns sehr nahe.
Meine Mutter starb, da war ich fünfzehn. Nach Mutters Tod blieb ich bei ihm. Die Frauen der Offiziere kümmerten sich um mich, und so war ich in Portugal, als er fiel.“
Sie brach ab, um nicht zu viel preiszugeben.
„Und was geschah danach?“
Hester sah sich um, aber sowohl Mrs. Redland als auch Major Piper waren in ein Gespräch mit ihren anderen Tischnachbarn vertieft. „Ich kam nach England zurück.
Mein Vater hatte schon Jahre vorher Vorkehrungen getroffen für den Fall, dass ihm etwas zustoßen sollte. Aber da brauchte ich natürlich keinen Vormund mehr. Zu meinem Glück bekam ich die Stellung einer Gesellschafterin bei einer pflegebedürftigen Person.“
Guy schien zu überlegen und fragte dann: „Warum brauchten Sie keinen Vormund mehr?“
„Weil ich großjährig war selbstverständlich.“ Hester lachte und griff nach ihrem Weinglas. Sie sah Guys Lächeln und konnte nicht anders, als es zu erwidern. „Und sehen Sie mich gar nicht so an, Mylord. Sie werden nicht mein Alter aus mir herauslocken. Es soll Ihnen genügen zu wissen, dass ich jahrelang Papas Gastgeberin gespielt habe.“
„Jahrelang?“
„Jahrelang“, wiederholte sie fest. Er brauchte ja nicht zu wissen, dass sie das erste Mal mit siebzehn die Freunde ihres Vaters in ihrer Unterkunft empfangen hatte, darunter zwei Generäle und einen Admiral. Sollte Guy sie doch für älter halten als ihre vierundzwanzig Jahre, wenn sie dadurch nur weniger verwundbar wirkte, als sie wirklich war. Auf keinen Fall sollte er sich einbilden, er könne leichtes Spiel mit ihr haben.
Zu ihrer Erleichterung fragte er sie nicht über ihren Arbeitgeber aus. Hester hasste es, zu lügen. Schon die Tatsache, dass sie sich verstellen musste, verursachte ihr Unbehagen.
„Und wie verbringen Sie Ihre Zeit, Miss Lattimer? Nach Ihrem Leben in London könnte ich mir vorstellen, Winterbourne habe Ihnen weit weniger Zerstreuung zu bieten.“
„Im Gegenteil, Mylord. Es war mir nie möglich, die Zerstreuungen Londons zu genießen. Jetzt habe ich meine Bücher und meine Stickerei, ein Haus und einen Garten, die es wiederherzustellen gilt, eine wunderschöne Landschaft und sehr angenehme Gesellschaft.“
Mrs. Redland musste einige Worte aufgeschnappt haben, denn sie drehte sich mit ihrem leicht kühlen Lächeln zu ihnen herum und bemerkte: „Es freut mich, Sie das sagen zu hören, Miss Lattimer. So viele junge Leute verabscheuen das Leben auf dem Land, doch wir sind hier eine sehr rege Gemeinde. Ich hoffe, ich kann Sie für die wohltätige Arbeit in unserem Dorf einnehmen.“
„Da bin ich sicher, Mrs. Redland. Dürfte ich erfahren, worum es genau geht?“
„Zum Beispiel um die Dorfschule für die Kinder der Arbeiter, die Gesellschaft zur Unterstützung invalider Kriegsveteranen, den Damennähzirkel, der Kleidung für die Bedürftigen näht, und ...“, sie senkte die Stimme, „... das Haus für Gefallene Mädchen in Aylesbury.“
Zwei der erwähnten Vorhaben berührten Hester ganz besonders, aber sie hielt es für klüger, nur eins davon anzusprechen. „Sehr interessant, Mrs. Redland. Ich fühle sehr mit der Notlage der invaliden Soldaten, da ich selbst einige Zeit auf der Iberischen Halbinsel verbrachte, doch selbstverständlich werde ich mein Bestes tun, Ihnen bei jedem dieser lobenswerten Unterfangen unter die Arme zu greifen.“
Mrs. Redland lächelte zufrieden und wandte sich wieder ab. Guy sagte leise zu Hester: „Sehr lobenswert und verteufelt langweilig. Ich kann mir nicht vorstellen, wie Sie endlose Stunden lang Kleidung für die Kinder der gefallen Frauen nähen. Reiten Sie?“
Hester warf ihm einen vorwurfsvollen Blick zu. „Man kann kaum den Kindern für die Sünden ihrer Mütter die Schuld geben.“
„Natürlich nicht“, entgegnete er mit einem Nachdruck, der sie überraschte. „In den meisten Fällen nicht einmal den Müttern. Sie haben meine Frage nicht beantwortet.“
„Ja, ich reite, aber ich besitze kein Pferd, seit ich wieder in England bin. Nur Hector, der unser Gig zieht.“
„Also können Sie kutschieren. Aber nur ein Gig? Kann ich Sie dazu verlocken, es mit einer Karriole zu versuchen?“
„Sehr leicht sogar“, erwiderte
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