02 - komplett
Frauen wirklich nach.
Doch der Gedanke daran weckte Widerwillen in ihm. Er wollte nicht flirten oder Hester zu etwas überreden, das sie nicht auch wünschte. Er wollte ... was genau wollte er? Ihr Freund sein?
Hester bewegte sich ein wenig, blieb aber still. Von ihr ging eine Ruhe aus, die ihn sehr anzog. Sie schien kein Bedürfnis zu haben, ständig zu plaudern oder ihre Ängste zur Schau zu stellen, um Aufmerksamkeit zu erregen. Guy lächelte in Gedanken an Hesters Mut und Klugheit, mit der sie sich den Degen verschafft und dann sogar gegen ihn gezogen hatte. Nein, die Rolle eines Freundes genügte ihm nicht. Wie es schien, wollte er sie umwerben.
Dieser Gedanke überrumpelte selbst ihn. War er etwa in sie verliebt? Bisher hatte er so ein Gefühl bei sich nicht für möglich gehalten. Hester war natürlich entzückend anzusehen, doch das galt für die meisten Damen, mit denen er von Zeit zu Zeit eine zärtliche Verbindung eingegangen war. Sie war klug, ungewöhnlich und offen, allerdings hatte er diese Eigenschaften bis jetzt noch bei keiner Frau verlangt. Und sie war mutig, dickköpfig, stolz und verschlossen. Das konnte doch unmöglich Liebe in ihm geweckt haben. Wenn es überhaupt Liebe war, diese Mischung aus Verlangen, Zärtlichkeit, Fürsorge und reinem Entsetzen, und er nicht einfach an einem seltsamen Fieber litt.
Plötzlich horchte er auf. Jemand hatte sich in der Halle bewegt. „Bleiben Sie hier“, flüsterte Guy. Er griff nach dem Degen.
Leise ging er zur Tür. Der Eindringling befand sich jetzt näher, am Fuß der Treppe.
Guy stürzte hinaus, und eine dunkle Gestalt wirbelte herum. Guy konnte nur erkennen, dass sie ganz in Schwarz gekleidet und kein Gesicht zu sehen war. Dann erst wurde ihm klar, dass der Einbrecher eine Maske trug.
„Bleiben Sie stehen! Ich bin bewaffnet.“
Zunächst schien nichts zu geschehen, dann flog etwas auf ihn zu. Guy hob unwillkürlich die Arme, um seine Augen zu schützen, und stieß mit dem Degen zu, während ihn ein scharfer Schmerz durchfuhr. Einen Moment lang glaubte er, der Eindringling hätte eine Katze nach ihm geworfen und die würde ihm das Gesicht zerkratzen. Doch dann schloss er die Hand um harte, dornige Stiele und spröde, zerfallende Blätter und erkannte, dass es ein Strauß Rosen war.
Er ließ ihn fallen und hielt wieder auf seinen Angreifer zu. Sein nächster Schritt traf allerdings nicht auf Marmor, sondern auf etwas Hartes, Rundes. Er geriet aus dem Gleichgewicht und begann zu fallen. Zuvor schaffte er es aber noch, mit einer Faust auszuholen und dem maskierten Gesicht einen Schlag zu versetzen.
Dann lag er auf dem Boden und wollte wieder auf die Füße kommen, doch jemand stolperte über ihn. Gleich darauf spürte er einen weichen weiblichen Körper auf sich.
„Hester!“ Ohne weitere Umstände schob er sie von sich und stand auf. Die Halle war leer, das Haus lag in völliger Stille. Wo zum Teufel war der Kerl?
Die Stille hielt jedoch nur noch wenige Sekunden an. Türen wurden aufgerissen, erschrockene Stimmen drangen vom ersten Stock nach unten, und Lichter von zwei Kerzen fielen in die Halle.
„Hester! Was ist geschehen? Oh, Sie Scheusal!“ Miss Prudhome, gleichgültig gegenüber der Tatsache, dass sie sich einem Gentleman in Lockenwicklern, Flanellmorgenrock und mit nackten Füßen präsentierte, flog regelrecht die Treppe herunter und an Hesters Seite. Den Kerzenhalter in der einen Hand, die andere drohend zu einer Faust geballt, rief sie: „Schnell, Susan, bring den Schürhaken – der Rohling hat versucht, sie zu schänden. Sieh doch, wie sie ihn gekratzt hat.“
Das Hausmädchen folgte ihr, den Schürhaken schwingend, auf dem Fuß.
„Ruhe!“ Hester gelang es, ihrer Stimme das nötige Gewicht zu geben, obwohl sie sich noch verzweifelt bemühte, auf die Beine zu kommen. Das Haar hing ihr ins Gesicht, und der Morgenrock war ihr bis zu den Knien hochgerutscht. Guy war hin und her gerissen zwischen Bewunderung und plötzlichem Verlangen, das er allerdings hastig unterdrückte. „Wir haben das Gespenst gefunden, und jetzt ist es fort, und wir müssen es suchen.“
Guy nutzte die Gelegenheit, um Susan den Schürhaken abzunehmen und den Degen zur Seite zu stoßen, bevor jemand darüber stolperte. „Bleiben Sie bitte hinter mir.“ Er nahm Miss Prudhomes Kerze und schaute in das Speisezimmer. Nichts zu sehen. Es blieb nur die Küche, obwohl inzwischen eine ganze Kavallerie Zeit gehabt hätte, die Tür zu entriegeln und ins Freie
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