02 - komplett
Jemand verbarg sich in dem Schatten, den die halb offen stehende Tür des Salons warf, und beobachtete sie.
Ihre Gedanken überschlugen sich. Konnte sie rechtzeitig bis zur Küche gelangen?
Dort würde sie ein Messer finden, das Nudelholz – aber nicht den Schürhaken, den hatte Susan mit ins Bett genommen.
Dann fiel ihr zu ihrer großen Erleichterung plötzlich ein, dass der Degen ihres Vaters neben der Haustür an der Wand lehnte. Sie hatte ihn heute Morgen dort hingestellt, um nicht zu vergessen, einen Nagel in die Wand zu schlagen, um den Degen daran aufzuhängen.
Ihren ganzen Mut zusammennehmend, machte sie entschlossen ihren nächsten Schritt, als wollte sie in die Küche gehen. Doch dann kehrte sie unversehens um und griff nach dem Degen. Sie zog die Klinge heraus, ließ die Scheide achtlos auf den Marmorboden fallen und wirbelte herum. „Kommen Sie heraus. Ich weiß, dass Sie da sind.“ Ihre Stimme klang erstaunlich ruhig.
Die Tür zum Salon schwang langsam weiter auf und enthüllte eine hochgewachsene Gestalt. Hester hob den Degen noch höher. „Zeigen Sie sich!“
Ein Mann trat vor, doch dann war er so schnell bei ihr, dass er sie vollkommen überrumpelte, ihr Handgelenk packte, sie in den Salon zerrte und an sich presste.
„Still!“, zischte er, und sie erkannte sofort seine Stimme.
„Sie!“ Hester wehrte sich empört gegen Guys Griff. „Wie wagen Sie es!“
11. KAPITEL
„Sie ... Sie Schuft!“ Hester wehrte sich erbittert.
„Na, na, meine liebe Miss Lattimer.“ Guy ließ sie nicht los, und je mehr sie sich sträubte, desto fester wurde sein Griff um ihr Handgelenk. „Bitte lassen Sie den Degen fallen, bevor Sie mich damit durchbohren.“
„Es ist ja meine Absicht, Sie damit zu durchbohren“, fuhr sie ihn an und versuchte, ihn zu treten. Allerdings war sie barfüßig und somit keine besondere Gefahr für ihn.
„Ich wollte Ihnen vertrauen, wirklich, aber jetzt weiß ich, dass ich recht hatte, es nicht zu tun. Wie konnten Sie ...“
Plötzlich ließ er sie los und benutzte dann beide Hände, um ihr den Degen zu entwinden. Keuchend gab Hester nach und sah, wie Guy die Waffe auf einen Sessel warf.
„Tut mir leid, aber einer von uns beiden wäre sonst verletzt worden.“ Er zog sie wieder fest an sich. „Hören Sie jetzt auf, sich zu wehren, und seien Sie still. Wollen Sie das ganze Haus aufwecken?“
„Ja!“ Sie trat mit aller Kraft auf seinen Fuß. „Sie brutaler Unhold! Verlogener, hinterlistiger Verräter. Jethro wird gleich mit der Flinte herunterkommen und ...“
„Nein, wird er nicht. Er schnarchte, dass sich die Balken bogen, als ich durch sein Fenster kletterte. Alle schnarchten, bis auf Sie. Sie machten niedliche kleine Schnaufgeräusche. Wenn ich Sie jetzt loslasse, hören Sie dann auf, mich zu treten, und setzen sich brav in den Sessel?“
„Nein! Schnaufen? Ich schnaufe nicht.“ Sie brach ab, da ihr die Bedeutung seiner Worte klar wurde. „Warum sind Sie durch Jethros Fenster gekommen? Sie konnten doch nichts von dem Schlaftrunk wissen.“
„Parrott und er dachten, es wäre das Beste, denn natürlich wollten wir, dass Susan alle Türen und Fenster im Erdgeschoss verriegelt wie gewohnt.“ Er lockerte seinen Griff. „Sagen Sie mir, ob das nach dem Handeln eines Mannes aussieht, der ein Haus mit verwelkten Rosen heimsuchen will.“ Guy entfernte sich etwas von ihr, und plötzlich fiel ein schmaler Lichtstreifen auf den Sessel. Hester erkannte, dass er die Verschlussklappe an einer Laterne geöffnet hatte.
Auf dem breiten Sessel lag ein Kissen. Auf dem Boden sah sie Guys Stiefel und eine Pistole mit langem Lauf. Beides stand in seltsamem Gegensatz zu der Weinflasche und der Serviette mit dem Schinkensandwich gleich daneben.
Die Laterne wurde wieder abgedunkelt. „Und jetzt setzen Sie sich. Wir scheinen weder Susan noch Miss Prudhome geweckt zu haben, aber ich schlage vor, wir bleiben leise. Ich kann gut darauf verzichten, von Ihrer Gesellschafterin zur Rede gestellt zu werden, weil ich mich mitten in der Nacht zu einem Stelldichein mit Ihnen begeben habe – und Sie sind noch dazu in Ihrem Morgenrock.“
„Sehr wahrscheinlich würden Sie es eher mit Susan und ihrem Schürhaken zu tun bekommen.“ Hester war hin und her gerissen zwischen Erleichterung und Ratlosigkeit, doch ließ sie sich gehorsam zu dem Sessel führen. Guy legte den Degen auf den Boden und setzte sich neben sie. „Es tut mir leid, wenn ich Sie getreten habe, aber was machen Sie
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