02 - komplett
ja schon einmal besprechen, wie wir suchen sollen und wo“, beschwichtigte Hester ihn. „Und wir können uns überlegen, wie wir unsere Weihnachtsfeier gestalten wollen.“
Eine Stunde später saß Hester vor dem Kamin im Salon und kaute auf ihrer Feder. Sie erinnerte sich an die Weihnachtszeit vor zwei Jahren, als sie voller Trauer und Verzweiflung nach England zurückkehrte und ihre einzige Zuflucht das Heim eines alten Freundes ihres Vaters gewesen war. Bei ihm würde sie zum ersten Mal nach so vielen Jahren Weihnachten auf englischem Boden verbringen.
Hester hatte die Adresse in der Mount Street gefunden und dem hageren, kranken Mann, der dort lebte, den Brief ihres Vaters übergeben. Colonel Sir John Norton hatte ihn gelesen, während sie ihn mitleidig betrachtete. Er war im gleichen Alter wie ihr Vater, sah aber so viel älter aus. Die Szene von damals stand ihr noch genau vor Augen ...
Zu ihrer Überraschung reichte er ihr seinerseits einen Brief mit der Handschrift ihres Vaters.
„ ... wie wir schon oft besprochen haben, mein liebes Kind, solltest du eines Tages allein in der Welt sein, wirst du bei meinem alten Freund John Norton Zuflucht finden
... er und ich sind übereingekommen, dass es das Beste für dich wäre, wenn er sich um dich kümmert und dich heiratet, denn es gibt niemanden, zu dem ich dich sonst schicken könnte.“
Sie hatte die wenigen Zeilen zweimal lesen müssen, bevor sie den Inhalt wirklich verstand. Ihr Vater und sein alter Freund hatten einen Plan zu ihrem Schutz gefasst.
Sie sollte den Colonel heiraten, falls ihr Vater fiel. Fassungslos sah sie auf und begegnete seinem freundlichen, verständnisvollen Blick.
„Ich war kein solches Wrack, als Ihr Vater mich das letzte Mal sah“, erklärte er trocken. „Ich habe mir Rheumatismus zugezogen, und der hat mein Herz angegriffen. Die Ärzte geben mir nur ein Jahr.“
„Das tut mir leid“, sagte sie leise. „Ich kann mich Ihnen unmöglich aufzwingen, das ist offensichtlich. Vielleicht kennen Sie eine gute Herberge ...“
Doch er hatte sie nicht ausreden lassen. Sir John machte ihr klar, dass sie ein Zuhause haben würde, wenn sie ihn heiratete, den Schutz seines Namens und in sehr kurzer Zeit sein Vermögen.
Die Vorstellung entsetzte sie. Sie weigerte sich entschieden, doch der alte Herr war hartnäckig geblieben, und nach zwei Tagen willigte sie ein, bei ihm zu bleiben. Und er war bereit, ihren Entschluss zu respektieren, ihn nicht zu heiraten.
So übernahm Hester die Rolle der Gesellschafterin und Haushälterin, und zwischen ihr und dem einsamen, kranken Mann entstand bald eine seltsame, doch sehr herzliche Freundschaft.
Ihr Kummer über Johns Tod war groß. Es schien ihr, als hätte sie einen zweiten Vater verloren. Von nun an würde sie von der kleinen Summe leben müssen, die ihr Vater ihr vermacht hatte. Wie unendlich dankbar und zutiefst gerührt war sie also, als sie bei der Lesung des Testaments erfuhr, dass John ihr ein kleines Vermögen hinterlassen hatte. Durch diese unverhoffte Erbschaft konnte sie auf dem Land ein neues Leben beginnen ...
Wieder in der Gegenwart warf Hester ihre Schreibfeder auf den Tisch und erhob sich, um aus dem Fenster zu schauen. Hier im Moon House würde sie sich eine Zukunft schaffen mit dem, was John und ihr Vater ihr vermacht hatten. Die Vergangenheit lag hinter ihr.
Schaudernd wandte sie sich ab und betrachtete ihren Schatten auf dem Holzfußboden. Fast war es wie eine Warnung – was hinter einem lag konnte sehr wohl einen langen Schatten werfen.
16. KAPITEL
Am nächsten Morgen versammelte sie ihre Mitstreiter um sich, und gemeinsam begannen sie die Suche.
„Jethro, sieh dich in der Küche und in der Speisekammer um. Irgendwo muss der Zugang zum Haus sein. Susan übernimmt das Erdgeschoss, Maria die Schlafräume, und ich durchsuche den Dachboden.“
Viel zu sehen gab es dort leider nicht. Was vorhanden war, war fast alles zerbrochen oder hatte nie einen besonderen Wert gehabt. Auch ein Versteck fand sie nicht, obwohl sie jede Holzoberfläche abklopfte und dagegen presste und an jedem lockeren Stein zog.
Seufzend betrachtete sie die dick mit Staub bedeckten Bodenbretter. „Hm, dort böte sich noch eine Möglichkeit“, sagte sie resigniert. Mit der Lampe in der einen Hand rutschte sie auf den Knien über den Boden und versuchte, die Bretter an den Enden hochzuheben, indem sie auf die Astlöcher drückte. Nichts. Und dann, in der hintersten Ecke, stieß ihre tastende Hand
Weitere Kostenlose Bücher