02 - komplett
Kinn fest und saß wutschäumend da, den Blick in betonter Weise von Guy Westrope abgewandt. Als sie den Fuß der Anhöhe erreicht hatten, fühlte sie bereits große Scham über ihr Verhalten. Nachdem sie Winterbourne Hall hinter sich gelassen hatten, fiel ihr auf, was für ein albernes Bild sie abgeben mussten, wie sie beide mit finsterem Blick vor sich hin starrten.
Sobald der Kirchturm in Sichtweite kam, gewann ihr Sinn für Humor die Oberhand, und sie musste ein Lächeln unterdrücken.
„Mylord?“
„Ja, Miss Lattimer?“
„Ich entschuldige mich, Mylord.“
„Ich auch, Miss Lattimer. Ihnen ist wahrscheinlich bewusst geworden, wie auch mir, dass der Versuch, in einer Karriole einen Streit aufrechtzuerhalten, sowohl unpraktisch als auch würdelos ist.“
Hester lachte leise, halb in ehrlicher Belustigung, halb vor Erleichterung. „Ich hoffe nur, wir haben keinen zufälligen Passanten mit unseren schmollenden Gesichtern erschreckt.“
„Ich schmolle nie. Ich mag gelegentlich brütende Stille verbreiten, was allerdings etwas völlig anderes ist.“ Sie lachte wieder, dieses Mal ganz ehrlich und ohne Zurückhaltung. „Meinen Sie, wir könnten uns wieder beim Vornamen nennen, Miss Lattimer?“
„Ich habe nichts dagegen, Mylord.“
Sie lächelte ihm zu und sah, dass auch er den Mund zu dem Lächeln verzog, das sie so verzauberte. Aber sie war bis ins Innerste erschüttert. Noch nie hatte sie eine solche Leidenschaft in einem Mann erweckt und nie selbst empfunden. Zu der Erkenntnis, dass sie Guy Westrope liebte, kam nun das Wissen, dass sie ihn auch begehrte und er dasselbe für sie fühlte.
Als die Karriole vor Moon House hielt, wurde die Tür aufgerissen, und Hesters kleiner Haushalt erschien vollzählig auf den Stufen.
„Oh, liebe Hester, dem Himmel sei Dank, Sie sind unversehrt!“ Maria rannte fast auf sie zu.
„Aber warum sollte ich es denn nicht sein?“ Hester kletterte hinunter und fand sich zu ihrem Erstaunen an Marias schmale Brust gedrückt.
„Weil wieder Rosen erschienen sind und wir nicht wussten, wo Sie waren“, sagte Susan, während sie näher kam. „Sir Lewis kam vorbei, weil er Ihnen ein Buch geben wollte, und war überrascht, dass Sie noch nicht zurück waren. Sie sind seit drei Stunden fort, Miss Hester.“
„Wir haben eine kleine Spazierfahrt gemacht.“ Unruhe stieg in ihr auf. „Es gibt neue Rosen?“
„Kommen Sie nach oben.“ Jethro ging ihr voraus, aber in der Halle überholte Guy ihn mit großen Schritten und nahm die Stufen zwei auf einmal.
„Bleiben Sie unten, Hester.“
Doch sie weigerte sich dickköpfig und folgte ihm auf dem Fuße. Was auch geschehen sein mochte, es zu sehen, konnte unmöglich schlimmer sein, als es sich vorzustellen.
Guy blieb auf dem Flur vor ihrem Schlafgemach stehen. Die Rosen lagen auf dem Boden vor ihrer offenen Tür.
Mit einer Ruhe, die sie ganz und gar nicht empfand, hob Hester die Rosen auf. „Acht.
Wie wir erwarteten.“
„Ich schicke Ihnen heute Abend wieder einen Diener.“ Guy machte einen Schritt in ihr Zimmer hinein. „Darf ich? Es wäre mir lieb, Ihr Schlafgemach zu überprüfen.“
Sie nickte und folgte ihm. Mit seiner hohen Gestalt, dem Reitanzug und den Reitstiefeln, die so im Gegensatz zu diesem femininen Raum standen, war er ihr als Mann sogar noch bewusster als vorhin in seinen Armen.
Sorgfältig durchsuchte er das Zimmer, sah unter das Bett und in den Ankleideraum, schlug die Bettdecke zurück und fuhr mit der Hand über das Laken und unter die Kopfkissen.
„Alles scheint in Ordnung zu sein.“ Er erhob sich und ging wieder zur Tür. „Und Sir Lewis war heute Nachmittag hier. Dieses Mal ist er etwas zu unvorsichtig gewesen.
Lassen Sie uns sehen, was Ihr tapferes Personal beobachtet hat.“
Hester nickte und wünschte, sie empfände dieselbe Tapferkeit. Guy nahm ihr die Rosen ab. „Die gehören in den Küchenofen.“ Er strich ihr sanft mit einem Finger über die Lippen. „Sie sind die Tochter eines Soldaten, Hester. Ihr Vater wäre stolz auf Sie.“
15. KAPITEL
Hester ging ihm in die Küche voraus, wo Guy die Rosen ins Feuer warf. „Was geschah, als Sir Lewis hier auftauchte? Habt ihr ihn irgendwann allein gelassen, Ackland?“
„Nein, Mylord. Er kam an die Vordertür und klopfte. Ich öffnete ihm, und er meinte, er hätte vergessen, Ihnen heute Morgen ein Buch zu geben. Dann dankte ich ihm und sagte, dass Miss Hester noch nicht zurück ist. Und als ich ihm das mitteilte, guckte er mich ganz
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