02 - komplett
die gesamte Londoner Gesellschaft seit Wochen hinter seinem Rücken flüsterte.
„Ach, schau nicht drein wie ein armseliges Hündchen“, mahnte die Countess ihn streng. „Wenn du die Wahrheit nicht vertragen kannst, hättest du nicht herkommen dürfen, und das weißt du auch. Reiß dich zusammen und erklär mir lieber, wie du dich aus dieser Klemme wieder befreien möchtest.“
„Das möchte ich ja gar nicht“, brachte Ralph wenig überzeugend hervor.
„Aber vermutlich hattest du ein Glas zu viel getrunken oder lagst gerade in ihrem Lotterbett, als du zugestimmt hast, Sir Clayton zu fordern.“
Ralph verschluckte sich beinahe. Einen Moment lang konnte er nur stumm den Mund öffnen und schließen wie ein Fisch auf dem Trockenen. Über die Jahre hatte er gelernt, die offenen Worte seiner Mutter zu ertragen. Was ihn allerdings aus der Fassung brachte, war, wie scharfsichtig sie das Vorgefallene erraten hatte. Der Brief, mit dem er Clayton den Fehdehandschuh hingeworfen hatte, war im Champagnerrausch inmitten Lorettas parfümierter Kissen verfasst worden. Neben ihm hatte die Dame selbst gelegen – nackt. Hin und wieder hatte sie ihm ein wenig Ermutigung zukommen lassen, wenn er in seinen schriftstellerischen Bemühungen zu erlahmen drohte.
„Aha“, bestätigte die Countess sich selbst. Sie nahm ihre Stickerei wieder auf. „Und was bringt dich heute hierher? Soll ich die Kosten für deine Beerdigung übernehmen?“
Ralph schluckte hörbar. Binnen weniger Augenblicke wechselte er erneut die Farbe und sah nun bleich aus wie der Tod selbst. „Ich weiß, dass ich gewinnen kann. Ich habe geübt.“
Die Countess schnaubte verächtlich. „Wenn du Glück hast, schießt Sir Clayton dir in den Arm, und die Sache ist damit erledigt. Falls ihn diese ganze Angelegenheit aber wütend gemacht hat ...“ Aus dunklen Augen sah sie ihren Sohn scharf an. „Bete lieber, dass er nicht wütend ist.“
„Ich hätte ihn schon vor Monaten fordern sollen, als wir unsere Verlobung bekannt gegeben haben“, stieß Ralph hervor. „Nur ein Schurke führt die Affäre mit der Braut eines anderen fort.“
„Du wusstest doch längst von der Liaison, als du ihr einen Antrag gemacht hast“, bemerkte seine Mutter. „Hast du dich zu dem Zeitpunkt etwa auch betrunken in ihrem Bett gelümmelt?“
Diesmal ließ die Countess Gnade walten, als sie ihren feuerroten und seiner Sprache beraubten Sprössling sah. „Ruf Simmons.“ Sie zog ihren Kaschmirschal fester um sich.
„Wenn du schon einmal hier bist, können wir genauso gut Tee trinken. Hast du vor, länger zu bleiben?“ In ihrem Tonfall lag keine besondere Ermutigung, diese Worte als Einladung zu verstehen. „Na, ich nehme es an. Vermutlich willst du hier herumhängen, bis der Tag des Duells vorüber ist. Dein Vater würde sich im Grabe umdrehen, wenn er wüsste, dass du vor einem Zweikampf kneifst. Aber gut. Was kannst du auch anderes tun, wenn du deinen dreißigsten Geburtstag noch erleben möchtest?“
„Ich kneife nicht. Ich werde das Duell fechten.“
Pomfreys Worte zeigten eine bedrohliche Wirkung auf seine Mutter. „Dieses Duell ist nichts als ein überflüssiges Blutbad!“, zürnte sie. „Biete ihm lieber Geld, damit er dir dieses Weib abnimmt. Wenn es nötig ist, bringe ich dafür sogar selbst auf, was erforderlich ist.“
Nun war es an Ralph, verächtlich zu schnauben. „Hast du überhaupt eine Ahnung, wie schwerreich Sir Clayton Powell ist?“
„Selbstverständlich. Aber mitunter hilft einem ein riesiges Vermögen nichts, wenn es fest angelegt ist. Auch ein Sir Clayton freut sich womöglich, etwas flüssig zu haben, was er am Spieltisch durchbringen kann.“
Ralph verzog das Gesicht. Missgünstig sah er sich in dem Salon mit seinen schäbigen Möbeln um. Auch seine Mutter besaß durchaus Geld, aber sie hatte es in Wertpapieren und Grundbesitz angelegt und rückte keinen Penny heraus, wenn sie es vermeiden konnte.
Die gichtverkrümmten Finger um die Armlehnen gekrallt, hievte die alte Countess sich aus ihrem Sessel. Bevor sie an ihrem Sohn vorbei zur Tür ging, versetzte sie ihm einen Klaps auf den Arm. „Du solltest dich dazu durchringen, Sir Clayton sehr bald einen Brief zu schreiben und dich bei ihm zu entschuldigen. Und danach sagst du Loretta Vane besser auf Nimmerwiedersehen.“
Clayton durchmaß den gesamten eiskalten Korridor, um dann umzudrehen und wieder zurückzugehen.
Der Butler kam zurück. „Warten Sie doch im Kleinen Salon auf den Earl,
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