02 - komplett
ihrer Unschuld zustimmte, die Mätresse eines Mannes zu werden, wählte sie diesen Ausweg, um nicht im Armenhaus zu landen. Die Ereignisse hatten ihr zwar seelische Narben zugefügt, aber sie hatten sie auch stärker gemacht.
Für Loretta Vane dagegen verspürte Gavin nichts als Verachtung. Doch nichts lag ihm ferner, als seinem Freund vorzuhalten, dass dieser sich mit der falschen Frau eingelassen hatte. Schließlich war er selbst auch vor nicht allzu langer Zeit noch als vergnügungssüchtiger Junggeselle durchs Leben gegangen. Mehr als einmal hatte er sich mit Frauen umgeben, die nichts vorzuweisen hatten als gewisse körperliche Reize.
„Bist du dir sicher, dass Sarah nicht gekränkt ist?“, erkundigte Clayton sich besorgt.
„Soll ich vielleicht mit ihr sprechen, mich entschuldigen ...?“
„Dazu besteht keine Veranlassung. Wenn du dich entschuldigen möchtest, dann lieber bei Ruth.“
Überrascht sah Clayton seinen Freund an. „Bei Ruth? Hat Loretta sie denn auch beleidigt?“ Er klang aufgebracht.
„Das kann ich nicht mit Sicherheit sagen, aber vermutlich. Offenbar schert sie sich nicht darum, gegen wen sie ihr Gift verspritzt.“
„Was verschweigst du mir?“ Clayton hatte zornig die Hände zu Fäusten geballt.
„Erzähl mir endlich, was vorgefallen ist!“
Gavin musste angesichts des heftigen Ausbruchs ein Zucken seiner Mundwinkel unterdrücken. Oh, wie gut erinnerte er sich noch an die Zeit seiner ersten Verliebtheit in Sarah, als jede Kleinigkeit seine Geduld auf eine mächtige Probe gestellt hatte! Clayton hatte seine Stimmungsschwankungen damals gleichmütig ertragen. „Loretta hat in Gegenwart von Lady Morganston und ihrer Schwester ein paar hinterhältige Bemerkungen über Sarahs Vergangenheit fallen lassen. Daraufhin ist Ruth meiner Frau beigesprungen und hat Loretta in die Flucht geschlagen.“
Clayton lachte auf, als er sich vorstellte, wie sehr Loretta der vollkommen unerwartete Ausgang der Auseinandersetzung in ihrem Stolz getroffen haben musste. Noch immer lächelnd, sah er zu Ruth hinüber. „Ach, das hat sie geschafft?“, murmelte er befriedigt.
„Ja.“ Die Freunde wechselten amüsierte Blicke, und Clayton spürte deutlich, dass auch Gavin von Ruths Mut beeindruckt war.
„Dabei wirkt Mrs. Hayden so kühl und beherrscht ... nun ja, vielleicht nicht immer ...“
Die letzten Worte ergänzte Clayton wie zu sich selbst. Ihm stand wieder Ruths Bild vor Augen, wie sie seine Liebkosungen mit dem Feuer der Leidenschaft erwiderte.
Im nächsten Moment brachte ihn Gavins belustigtes Grinsen wieder in die Gegenwart zurück, und er räusperte sich. „Eigentlich überrascht es mich, dass Loretta so schnell aufgegeben hat. Sie kann bemerkenswert hartnäckig sein.“
„Oh, Ruth hat zu einer sehr klugen Taktik gegriffen.“
Als Gavin nicht unmittelbar weitersprach, hakte Clayton nach: „Nämlich zu welcher?“
„Sie hat einfach behauptet, mit dir verlobt zu sein.“
Einen kurzen Augenblick lang war noch der Widerschein von Belustigung und Zuneigung in Claytons Miene zu sehen, bevor dieser Ausdruck allmählich schwand.
„ Was hat sie gesagt?“
„Dass ihr heiraten wollt.“
Clayton starrte Gavin ungläubig an. Dann drehte er sich um und suchte Ruths Blick.
Ruth hätte genau sagen können, in welchem Moment Gavin ihm das Ungeheuerliche mitteilte. Sobald sie gesehen hatte, wie die Freunde sich in eine Nische zurückgezogen hatten, um ungestört zu reden, hatte sie die beiden nicht mehr aus den Augen gelassen. Die Stunde der Wahrheit war gekommen – grausam, unvermeidlich.
Nun lief ihr ein Schauder über den Rücken, als sie Claytons mitleidslosen Blick auf sich gerichtet sah. Keiner der anderen Gäste ahnte vermutlich, wie viel Zorn darin lag, denn Clayton trug noch immer eine Maske höflicher Verbindlichkeit zur Schau.
Aber Ruth spürte seinen Ärger so deutlich, als hätte Clayton sie geschlagen. Konnte er ihr ansehen, wie gerne sie sich bei ihm entschuldigen wollte? Doch die tief empfundenen Worte wollten ihr einfach nicht über die Lippen. Clayton schien von ihrer Zerknirschung nichts zu bemerken; sein kalter, harter Blick ließ sie nicht los.
Im nächsten Moment zuckte sie zusammen, denn Clayton kam auf sie zu. Hastig murmelte sie an Sarah gewandt etwas davon, dass sie den Damenraum aufsuchen wollte, und flüchtete. Mochte Clayton sie ruhig für feige halten – in diesem Augenblick wollte sie nur fort. Doch ein Blick aus den Augenwinkeln zeigte ihr, dass er die
Weitere Kostenlose Bücher