02 - komplett
hatte, war es ihm so vorgekommen, als verstummten alle Gespräche. Gleich darauf hob das Stimmengewirr zwar wieder an, aber immer wieder erwischte er vereinzelte Gäste, die lieber zu ihm herüberstarrten, als sich zu unterhalten. Es war nicht zu übersehen: Hier war vor seinem Eintreffen etwas vorgefallen, das ihn betraf.
Dass seine Gegenwart hoffnungsfrohe Debütantinnen und ihre Mamas in helle Aufregung versetzte, war ihm nichts Neues. Auch die Angelegenheit um Pomfrey und Loretta Vane hatte sicher dazu beigetragen, dass sein Name im ton derzeit häufig fiel. Aber all das hatte nichts mit Ruth zu tun, und er spürte genau, dass dieses merkwürdige Verhalten auch sie betraf.
Sobald sie vor ein paar Minuten die Tür zum Salon erreicht hatten, hatte sie sich hastig bei ihm entschuldigt und war weggeschlüpft. Unter dem Vorwand, sich dem Kreis um Sarah anschließen zu wollen, hatte sie auch die Countess mit fortgeführt.
Doch so eilig Ruth es auch gehabt hatte, aus seiner Nähe zu fliehen: Nun blickte sie ständig zu ihm herüber. Das Lächeln, das sie zur Schau trug, konnte Clayton nicht über ihre Anspannung hinwegtäuschen.
Es gab nur eine Person, der Clayton zutraute, Ruth dermaßen aus der Fassung zu bringen. Aber wie hatte Loretta erraten, dass er sich in Ruth Hayden verliebt hatte und sie zur Mätresse nehmen wollte? Niemand außer Gavin wusste davon, und schon der Gedanke, der Freund könnte sein Vertrauen enttäuscht haben, war lächerlich. Natürlich ahnte auch Ruth selbst, wie es in ihm aussah, obwohl er seine Wünsche bisher nicht geäußert hatte. Aber sie würde Loretta ihren Triumph mit Sicherheit niemals unter die Nase reiben.
Trotzdem musste eine Auseinandersetzung stattgefunden haben, die mit Lorettas verfrühtem Aufbruch geendet hatte. Das würde auch erklären, weshalb so viele der Anwesenden scheinbar unauffällig jeden seiner Schritte und jeden Blick von Ruth beobachteten.
„Hat Loretta vor meiner Ankunft irgendwelches Unheil gestiftet?“, erkundigte Clayton sich bei Gavin. „Ich habe sie beim Hereinkommen gerade gehen sehen, am Arm von Bernard Graves. Vermutlich hat Susannah Storey sie hinauswerfen lassen, nicht wahr?“
Wortlos bedeutete Gavin seinem besten Freund, ihm zu einem Alkoven zu folgen, wo sie sich etwas vertraulicher unterhalten konnten. Minutenlang hatte er Clayton dabei beobachtet, wie dieser das merkwürdige Verhalten der Gäste betrachtete, um daraus seine eigenen Schlüsse zu ziehen. Gleichzeitig hatte Gavin abzuschätzen versucht, wie viel von dem Vorgefallenen Ruth wohl in der Eingangshalle erzählt haben mochte. Claytons Frage und Ruths unsicheres Lächeln schienen ihm nun darauf hinzudeuten, dass es Ruth entweder an Gelegenheit oder aber an Mut gemangelt hatte, Clayton die Angelegenheit zu beichten.
Gavin hätte ihr am liebsten gesagt, sie müsse sich keine Sorgen machen. Clayton liebte sie, und früher oder später würde er auch einsehen, dass er sie im Grunde seines Herzens heiraten wollte. Er benötigte lediglich ein bisschen Zeit, um das Wunder zu fassen und zu erkennen, dass Ruth die perfekte Ehefrau für ihn war.
Nachdem einige Zeit verstrichen war, ohne dass Clayton eine Antwort auf seine Frage bekommen hatte, zog er ungeduldig die Augenbrauen hoch. „Hat Loretta heute Unheil gestiftet?“, wiederholte er.
„Ja.“
„Was hat sie angestellt?“ Clayton sprach nun lauter, und Zorn spiegelte sich in seiner Miene wider. „Hat sie etwa Ruth ... Mrs. Hayden beleidigt?“
„Nein, sie hat Sarah angegriffen.“
„Sarah?“ Fassungslos fragte Clayton: „Aber warum nur?“
„Vermutlich deshalb, weil Loretta Vane ein bösartiges Weibsbild ist“, erwiderte Gavin ausdruckslos.
Unwillkürlich blickte Clayton zu Sarah hinüber, als wollte er feststellen, ob Lorettas Angriffe ihre Spuren hinterlassen hatten.
„Ach, nein – um Sarah brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Sie ist zu stark, um sich von jemandem wie Loretta unterkriegen zu lassen.“
Was in uneingeweihten Ohren wie Gleichgültigkeit klingen mochte, wurzelte tatsächlich in Gavins tiefer Liebe zu seiner Frau. Gavin kannte Sarah als unerschrockene, starke Persönlichkeit, die sich sehr wohl zu wehren wusste.
Niemanden, der ihre Geschichte kannte, durfte das wundern: Sie war die Tochter eines Mannes, der jahrelang Geld unterschlagen und aus Furcht vor Strafe schließlich feige Selbstmord begangen hatte. Nach seinem Tod blieben seine Kinder schutzlos und ohne Einkommen zurück. Als Sarah in
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