02 - komplett
nun der Welt zu verstehen gegeben hatte, dass eine Hochzeit bevorstand, würden alle davon ausgehen, dass Clayton und sie bereits eine Affäre hatten.
„Und was versprechen Sie sich davon?“, erkundigte sie sich. „Dass ich zum Dank dafür Ihr Bett mit Ihnen teile?“
„Ich gehe davon aus, dass wir früher oder später in den Armen des anderen Erfüllung finden, weil es das ist, was wir beide wollen“, berichtigte Clayton sie sanft.
Ruth wandte den Kopf ab. Was sollte sie auch sagen? Sollte sie heucheln und behaupten, ein solcher Wunsch wäre ihr nie in den Sinn gekommen? Gerade eben hatte sie ihm zum zweiten Mal bewiesen, dass sie ihm willig geben würde, was er begehrte. Nein, sie konnte nicht leugnen, dass sie sich nach seinen Küssen, seinen Liebkosungen sehnte. Aber was war mit ihren anderen Wünschen? Durfte sie sich um die Möglichkeit bringen, eines Tages einen Mann zu finden, der sie als seine Frau liebte? Wie lange würde Claytons Begehren andauern? Bis ihre Schönheit verblasste und jede Chance, doch noch zu heiraten und Kinder zu bekommen, dahin war?
Vielleicht würde Clayton sich eines Tages wieder verlieben. Sie wünschte ihm, dass er endlich seine Verachtung für die Ehe aufgab und seiner Frau zuliebe treu blieb.
Aber was würde dann aus ihr werden? Was würde geschehen, wenn sie eines Tages ein Kind erwartete? Konnte sie es allein großziehen?
Fragen über Fragen. Aber ihre Gedanken kehrten immer wieder zu der einen, der drängendsten Frage zurück: Konnte sie Clayton mit ganzem Körper und ganzer Seele lieben – in dem Wissen, dass er ihre Gefühle nicht erwiderte?
Ruth drehte den Kopf wieder zu ihm und bemerkte, dass er sie forschend ansah.
Wenn sie seinen Vorschlag zurückwies, würde er sie einfach erneut verführen. Und sie wusste, dass sie nicht die Willenskraft besaß, ihn daran zu hindern. „Es tut mir leid, dass ich mich heute Abend so unbedacht verhalten habe“, wiederholte sie.
„Wenn es sein muss, gebe ich öffentlich zu, dass ich gelogen habe. Damit wäre die Angelegenheit für Sie erledigt. Gute Nacht.“
Er hatte ihr die Hand auf den Arm gelegt, um sie zurückzuhalten, aber Ruth schüttelte sie ab, öffnete den Schlag und sprang aus der Kutsche. Inzwischen war es ihr gleichgültig, ob Clayton sie flüchten sah. Sie eilte die Treppe zum Stadthaus der Tremaynes hinauf, so schnell sie konnte, und betätigte den Klopfer.
Am nächsten Morgen weckte ein Geräusch an ihrer Tür Ruth aus tiefem, traumlosem Schlaf. Gleich darauf schlüpfte Sarah ins Zimmer und setzte sich auf ihre Bettkante.
„Habe ich dich aufgeweckt? Das tut mir leid ... aber ich konnte einfach nicht länger warten. Ich bin so gespannt zu hören, was sich gestern zwischen dir und Clayton abgespielt hat.“ In Sarahs weit aufgerissenen Augen spiegelten sich Neugier und Besorgnis. „Die ganze Zeit, seit ihr gemeinsam weggefahren seid, habe ich mir Sorgen gemacht, dass Clayton und du nun entsetzlichen Streit habt – und das nur meinetwegen!“
Mühsam erhob Ruth sich auf die Ellenbogen und sah Sarah blinzelnd an. „Wie viel Uhr ist es?“ Ungeduldig strich sie sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
„Ungefähr neun. Zum Glück konntest du wenigstens gut schlafen. Ich habe die ganze Nacht vor Sorge kaum ein Auge zugetan. Hat Clayton dir eine schlimme Standpauke gehalten?“ Ohne die Antwort abzuwarten, fuhr Sarah fort: „Anfangs glaubte ich ...
merkwürdig, nicht? ... er wäre möglicherweise sogar froh, dass du vorgegeben hast, seine Verlobte zu sein. Er fühlt sich schließlich ganz offensichtlich zu dir hingezogen.
Ich dachte, genau so ein kleiner Schubs wäre das Beste, damit er dieses ... Flittchen vergisst, das er damals geheiratet hat. Gavin ist übrigens auch aufgefallen, dass Clayton kaum die Augen von dir wenden kann.“ Sarah unterbrach sich und biss sich nachdenklich auf die Lippe. „Aber als ihr gemeinsam die Soiree verlassen habt, sah er so wütend aus – und du wirktest so ängstlich ...“
„Konnte man das so deutlich erkennen?“ Der Ärger vertrieb die letzten Reste ihrer Schlaftrunkenheit. Hatte alle Welt gesehen, wie sehr sie sich vor Claytons Zorn fürchtete?
„Ich kenne euch einfach beide gut, deshalb habe ich gemerkt, was in euch vorging.
Aber nach außen hin habt ihr beide bemerkenswert ruhig gewirkt. Clayton gelingt es immer, ein Lächeln zur Schau zu tragen, gleichgültig, wie es in seinem Innern aussieht.“
„Oh ja“, pflichtete Ruth der Freundin bei. Aber es
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