02 - komplett
klang bitter.
Sarah warf ihr von der Seite einen schnellen Blick zu. Plötzlich sagte sie: „Es war so lieb von dir, gestern zu meiner Verteidigung zu kommen. Aber ich wünschte wirklich, es wäre nicht geschehen. Du hast dich selbst in eine entsetzliche Situation gebracht.
Er will dich nicht heiraten, nicht wahr?“
„Man kann es ihm kaum vorwerfen, Sarah“, gab Ruth zu bedenken. „Kein Mann würde sich gerne zwingen lassen, einer Frau einen Antrag zu machen. Und dann noch unter solchen Umständen! Wenn man bedenkt, welches Pech Clayton mit seiner ersten Frau hatte ...“
„Auch deine Ehe hat ein trauriges Ende genommen“, unterbrach Sarah sie. „Und du verdammst deshalb trotzdem das Heiraten nicht in Bausch und Bogen.“
Ruth setzte sich auf, sodass ihr die langen Locken über die Schultern fielen. „Ich habe Paul geliebt, und die schlimmen Erinnerungen können die schönen nicht auslöschen.“ Abwesend ließ sie den Rand der Bettdecke durch die Finger gleiten, während sie ins Leere blickte. „Claytons einzige Erfahrung war dagegen entsetzlich unglücklich. Es ist also kein Wunder, dass er davor zurückschreckt, noch einmal zu heiraten.“
„Ich glaube, dass du ihn zu sehr in Schutz nimmst. Wenn Clayton nicht bereit war, dir ein ehrenhaftes Angebot zu machen, dann hätte er von Anfang an nicht durchblicken lassen dürfen, wie sehr du ihm gefällst.“
„Ich möchte gar nicht, dass er mir ein ehrenhaftes Angebot macht“, wandte Ruth ein. „Wäre es nicht genauso schlimm, als Ehefrau nur ein lästiges Übel zu sein, wie als Mann zur Heirat gezwungen zu werden? In anderen Worten: Weder er noch ich wollen heiraten.“
Ruth legte Sarah, die niedergeschlagen wirkte, eine Hand auf den Arm und drückte ihn sanft. „Mach dir keine Sorgen. Es wird zunächst einen Skandal geben, das weiß ich, aber das geht vorbei. Sobald die Wahrheit bekannt wird, kehre ich nach Fernlea zurück. Der Tratsch wird sich schnell legen, wenn niemand da ist, gegen den sich Häme und Verachtung richten können. Für Clayton empfinden die Leute sicher nichts als Mitgefühl, dass ihn schon wieder eine Frau durch gemeine Ränkespiele in die Ehefalle locken wollte.“
Mit einem etwas schiefen Lächeln brachte Sarah zum Ausdruck, dass sie sich vorerst geschlagen gab. Sie stand auf, trat zum Fenster und zog den Vorhang etwas beiseite.
„Schönes Wetter. Gavin hat versprochen, dass er mich nach dem Frühstück im Park ausfährt. Möchtest du mitkommen?“
Ruth schüttelte den Kopf, während sie nach ihren Pantoffeln angelte. Sobald sie in den Morgenmantel geschlüpft war, trat sie neben die Freundin ans Fenster.
„Ach, komm doch mit“, bat Sarah. „Mir gefällt der Gedanke nicht, dass du hier ganz alleine zu Hause bleibst und dir über diese ganze unangenehme Sache den Kopf zerbrichst.“
„Ich bin froh, wenn ich ein bisschen allein sein kann. Außerdem muss ich packen, damit ich jederzeit nach Fernlea zurückfahren kann. Ich reise natürlich nicht ab, bevor die Sache mit Clayton nicht geklärt ist. Gestern habe ich ihm versprochen, dass ich öffentlich erkläre, es sei alles eine Lüge gewesen. Wenn er das möchte.“
„Ich leihe dir auch mein schönstes Morgenkleid, wenn du mit in den Park kommst“, schmeichelte Sarah. Tränen standen ihr in den Augen, weil sie der Freundin in deren Nöten nicht helfen konnte.
„Du hast mir schon so viele wunderschöne Kleider geschenkt, dazu die ganzen anderen Sachen für diese Reise. Ich weiß ohnehin nicht, wie ich dir danken soll.“
„Du bist meine beste Freundin. Warum sollte ich nicht mit dir teilen, was ich habe?“
Sarah klang aufrichtig.
„Das ist sehr lieb von dir, und ich danke dir dafür. Aber deinen Mann sollst du nicht mit mir teilen müssen – zumindest nicht ständig. Fahrt ihr ruhig gemeinsam in den Park und genießt das Zusammensein.“
„Ach, Gavin macht es nichts aus, wenn du mitkommst“, bemerkte Sarah.
„Natürlich nicht. Er ist viel zu sehr Gentleman, um an so etwas Unhöfliches auch nur zu denken.“ Ruth lächelte. „Aber mir macht es etwas aus, dass ihr beide kaum Zeit für euch hattet, seit wir nach London gekommen sind. Und jetzt – wollen wir sehen, was es zum Frühstück gibt?“
„Ich kann nichts essen. Nehmen Sie das Tablett fort.“
Mit einem Knicks eilte das Zimmermädchen herbei, um dem Wunsch der missgelaunten Dienstherrin Folge zu leisten.
Loretta Vane griff zu dem Brief, den man heute Morgen abgegeben hatte. Zum wiederholten
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