02 - komplett
Heute Nachmittag habe ich bereits jede Empfindung zum Ausdruck gebracht, derer ich fähig bin.“
„Glauben Sie wirklich, Miss Lattimer?“ Er betrachtete sie belustigt. „Ich hoffe doch sehr, dass Sie sich irren. Noch einen schönen Nachmittag. Miss Prudhome.“
Jethro musste die ganze Zeit das Ohr an die Tür gepresst haben, denn er öffnete sie, bevor der Earl sie ganz erreicht hatte. „Ihr Hut, Mylord.“
Die Tür schloss sich hinter ihm, und Hester ließ sich in den Sessel fallen, dass der Staub nur so flog. „Ein wirklich unerträglicher Mann!“
„Ach, du meine Güte!“, rief Susan, die gerade in den Salon eilte. Hinter ihr hörte man die Haustür ins Schloss fallen. „Wie sehen Sie nur aus, Miss Hester!“
Miss Prudhome schüttelte den Kopf und blickte Hester betroffen durch den Kneifer an, der ein wenig schief auf ihrer Nase balancierte. „Ich hätte verhindern müssen, dass er mit Ihnen flirtet. Meine erste Pflicht als Anstandsdame, und ich habe versagt!“
„So eine Frechheit von dem Mann. Und so etwas nennt sich Earl. Ist er einer von diesen Londoner Wüstlingen, von denen man sich erzählt, Miss Hester?“
„Wahrscheinlich“, antwortete sie unbestimmt. „Bringe mir bitte die Kleiderbürste, Susan.“
Das Hausmädchen beeilte sich, den Auftrag zu erfüllen, und Hester betrachtete nachdenklich ihre ineinander verschränkten Hände. Zuerst sein höfliches, fast kühles Betragen und dann der Moment von nahezu empörender Nähe, als er ihr in die Augen gesehen hatte. Seine Worte und der Ton seiner Stimme hatten keinen Zweifel daran gelassen, wie gern er ihr noch näher gekommen wäre. Hester riss sich mühsam zusammen. Er hatte sie aus der Fassung bringen wollen, und leider war es ihm auch gelungen.
Jethro erschien wieder im Salon, offensichtlich sehr zufrieden mit sich. Gleich hinter ihm kam Susan herein.
„Oh, vielen Dank, Susan. Ich bin sicher, es lässt sich leicht abbürsten.“
Susan und Jethro unterhielten sich flüsternd, und erst als ihnen bewusst wurde, dass Hester sie ansah, wurden sie still. Schließlich machte Jethro seinen Gefühlen Luft.
„Werden Sie das Haus an ihn verkaufen, Miss Hester?“
„Selbstverständlich nicht. Es ist unser Zuhause, und ich lasse mich nicht von einem vornehmen Stutzer daraus vertreiben, weil ihn zufällig die Laune gepackt hat, es zu besitzen.“ Sie fasste einen schnellen Entschluss. „Wir nehmen uns den Rest des Tages frei von der Hausarbeit. Die Möbel sollten morgen ankommen, also lasst uns nach draußen gehen und den Garten erkunden. Etwas frische Luft wird uns allen guttun.“
Susan lief hinaus, um Häubchen und Mäntel zu holen, und Jethro wickelte sich in eine riesige Flanellschürze, um seine guten Sachen zu schützen. Gemeinsam machten sie sich auf, den Garten und die Außengebäude zu erkunden. In der Scheune fanden sie einen Kohleneimer, woanders einen Blumenkorb und eine große Tasche voller Wäscheklammern, in denen leider schon der Wurm war.
„Wir müssen unbedingt einen Mann für die harte Arbeit und den Garten finden“, sagte Hester, nachdem sie den letzten Anbau erforscht hatten. „Und vielleicht zwei Frauen, die im Haus für Sauberkeit sorgen. Sollten sie sich dann als fähig erweisen, könnten wir ja eine als Köchin behalten. Ich wünschte, der Vikar würde vorbeischauen, dann könnte ich seine Frau bitten, mir jemanden zu empfehlen.“
Jethro räusperte sich bedeutungsvoll, und als Hester sich umdrehte, fand sie sich einem beleibten Mann in der Kleidung eines Geistlichen gegenüber, der sie wohlwollend anlächelte. Er lüpfte seinen Hut. „Guten Tag, Madam. Ich hoffe, Sie vergeben mir meinen so späten Besuch, aber meine Pflichten haben mich heute sehr in Anspruch genommen. Trotzdem konnte ich den Tag nicht vergehen lassen, ohne das neue Gemeindemitglied in Winterbourne St. Swithin willkommen zu heißen.
Mein Name ist Reverend Bunting, Charles Bunting.“
Hester reichte dem Vikar die Hand. „Guten Tag, Mr. Bunting. Wie freundlich von Ihnen, uns zu besuchen. Ich bin Hester Lattimer, und dies ist meine Gesellschafterin Miss Prudhome.“
Sie bemerkte seinen flüchtigen Blick zu ihrer unberingten linken Hand, bevor er ihre Rechte nahm.
„Seien Sie willkommen in St. Swithin, meine Damen. Ich hoffe, Sie werden sich am Sonntag in der Kirche zu uns gesellen, und war so frei, Ihnen die Zeiten des Gottesdienstes aufzuschreiben.“
Hester nahm die Papiere mit der angemessenen Dankbarkeit an und versicherte, dass
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