02 - komplett
Taille lagen, und konnte sich nicht rühren. Sie spürte, wie der Mann sie stützte, sie fühlte seine Schenkel und die Wärme seines Körpers. Sich loszureißen, wäre zweifellos sehr würdelos. Und zu ihrer eigenen Verblüffung wusste sie genau, wer sie gerettet hatte. Gleich würde er sie wieder loslassen, doch in diesem kurzen Moment war es wundervoll, so gehalten zu werden. Sie geriet außer Atem – sicherlich nur von dem Schrecken.
„Mylord!“
Er gab sie frei, und sie wandte sich zu ihm um, hin und her gerissen zwischen Ärger und Verlegenheit. Was hatte sie sich nur dabei gedacht, ihm so lange zu erlauben, sie zu berühren?
Ein kastanienbrauner, riesiger Hengst stand an ihrer Gartenpforte, seine Zügel waren achtlos über die Pfosten geworfen. Der Earl war in Reitkleidung – helle Reithose, Stiefel und eine offene dunkle Jacke. Hut, Handschuhe und Reitpeitsche lagen auf dem Weg, wo er sie wohl hatte fallen lassen, um ihr zu Hilfe zu eilen.
Im Freien sah er sogar noch anziehender aus. Hester suchte nach den passenden Worten, um ihm zu danken und doch gleichzeitig klarzumachen, er müsse seine guten Manieren vergessen haben. Jedoch fiel ihr jetzt nur auf, dass sein Haar vom Wind zerzaust und seine Haut sonnengebräunt war und wie gut der Reitanzug seine breiten Schultern und die langen Beine zur Geltung brachte.
„Ich danke Ihnen, Mylord, aber ich muss wirklich sagen ...“
„Dass Sie es vorgezogen hätten, sich den Kopf auf den Steinfliesen aufzuschlagen?
Guten Morgen, Miss Lattimer. Es freut mich natürlich, Sie im Garten vorzufinden.
Wäre es allerdings nicht besser, Ihren jungen Diener mit derlei Aufgaben zu betrauen?“
„Ich weiß“, gab Hester mit einem Achselzucken zu. Sie hatte sich sehr dumm und würdelos benommen und gar nicht wie die feine Dame, als die sie so gern erscheinen wollte. „Jethro ist auf die Suche nach einer Heckenschere gegangen. Ich habe entdeckt, dass über der Tür etwas eingemeißelt ist, und wollte es mir ansehen.“
Lord Buckland ging an ihr vorbei und blickte nach oben. „Das stimmt. Aber war es denn so dringend?“
„Wenn ich etwas möchte, werde ich für gewöhnlich recht ungestüm, fürchte ich.“
Er hob eine Augenbraue, und Hester hatte das ungute Gefühl, ihre Antwort hätte ihn in irgendeiner Weise provoziert. „Schön. Dann lassen Sie mich sehen, was ich tun kann.“ Bevor sie ihn aufhalten konnte, überließ er ihr seinen Rock, erklomm die oberste Sprosse.
Sein Gleichgewichtssinn muss ausgesprochen ausgeprägt sein, dachte Hester.
Fasziniert ruhte ihr Blick auf dem Muskelspiel seiner Schenkel. Als ihr bewusst wurde, was sie tat, errötete sie heftig und heftete den Blick stattdessen auf die Hände des Earls. Mit einem einzigen kräftigen Ruck entfernte er ein ganzes Stück vom Efeu und brachte den nackten Stein darunter zum Vorschein.
Trotz der Überreste des Efeus war unverkennbar ein ovales Steinpaneel auszumachen, auf dem eine Mondsichel und ein einzelner Stern eingemeißelt waren.
„Moon House! Ein Mond, wie reizend“, rief Hester entzückt. Das Paneel war sehr schlicht, doch gleichzeitig elegant und feminin, wie das Haus und dessen Einrichtung.
„Ja, die Arbeit eines sehr guten Steinmetzen.“ Etwas im Ton seiner Stimme ließ Hester aufhorchen. „Jemand hat sich mit diesem Haus sehr viel Mühe gegeben.“
„Es fühlt sich auch so an, als wäre es sehr geliebt worden“, bemerkte Hester, sobald er wieder unten war und das Gestrüpp beiseitewarf. „Du liebe Güte, wie sehen Sie aus, Mylord. Ich hole schnell eine Kleiderbürste. Es dauert nur einen Moment.“
Sie hatte ihm den Rock gegeben und war im Haus verschwunden, bevor Guy Einwände erheben konnte – und ließ ihn einfach auf der Türschwelle stehen. Recht ungestüm, dachte er lächelnd. Ja, das traf sicherlich auf Miss Lattimer zu. Und sehr entschlossen musste man sie auch nennen. Allerdings konnte er ihr das kaum zum Vorwurf machen, da es ja auch bei ihm sein Ungestüm gewesen war, das ihn hergeführt hatte, und eigensinnige Entschlossenheit, die ihn bleiben ließ. Das und vielleicht auch ein Paar bernsteinfarbener Augen.
Der glänzend polierte Türklopfer erregte seine Aufmerksamkeit, und er hob die Hand, um ihn zu berühren. Seine Form war ungewöhnlich – ein Bogen, der beim Klopfen auf einen Köcher mit Pfeilen traf.
Eine Mondsichel und ein Jagdbogen, die Symbole der Göttin Diana.
Ein Schrei riss Guy aus seinen Gedanken. Er machte einen Schritt nach hinten, um
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