02 - komplett
Locken an den Schläfen und der Stirn.
Ein letztes Mal zupfte Hester noch an ihrem Kleid. „Ich meine, wir sehen sehr respektabel aus“, sagte sie bestimmt. Und genau das war der Eindruck, den sie erzielen wollte und musste, wenn sie im Dorf am gesellschaftlichen Leben teilnehmen wollte. Es war schon seltsam genug, dass eine vierundzwanzigjährige Frau ganz allein einen Haushalt eröffnete, selbst wenn sie von ihrer Gesellschafterin begleitet wurde. Sie durfte darüber hinaus nicht den kleinsten Zweifel an ihrer Person wecken.
Der Earl war pünktlich, das musste man ihm lassen. Hester hatte kaum vor dem Kamin Platz genommen, eine Stickarbeit in den Händen, da wurde schon der Klopfer betätigt. Jethro zupfte seinen Rock zurecht, setzte eine würdevolle Miene auf und schritt hinaus.
Stimmen erklangen in der Halle, dann erschien Jethro an der Tür des Salons. „Der Earl of Buckland, Miss Lattimer.“
Hester erhob sich ruhig, legte ihre Handarbeit zur Seite, sah auf und spürte, wie ihr der Atem stockte. Nur mit größter Mühe blieb sie gelassen und streckte die Hand aus. „Guten Tag, Mylord. Ich bin Hester Lattimer.“
Wie hatte sie es gestern nur übersehen können? Hatte sein plötzliches Klopfen sie so erschreckt? Der Mann vor ihr war nicht nur überaus anziehend – er war der Mann ihrer Träume. Sein Blick ruhte mit offener Bewunderung auf ihr. Sie brauchte nur in seine klugen dunkelblauen Augen mit den feinen Lachfältchen zu schauen, und schon stieg eine seltsame Hitze in ihr auf.
Er nahm ihre Hand, und ihr Herz begann so heftig zu klopfen, dass Hester fürchtete, er müsse es bemerken. Hastig entzog sie ihm die Hand. „Mylord, darf ich Ihnen meine Gesellschafterin Miss Prudhome vorstellen.“
Der Earl neigte leicht den Kopf. Hester wies auf den freien Sessel. „Bitte, Sir, möchten Sie sich nicht setzen?“
Lieber Himmel, was für ein hochgewachsener Mann er doch war, und wie breitschultrig und eindrucksvoll. Auf den zweiten Blick erkannte man, dass er nicht vollkommen war, denn irgendwann einmal musste er sich die Nase gebrochen haben. Seine Züge waren eher markant als schön und die dunkelblonden Haare etwas zu lang ...
Jemand räusperte sich.
Hester zuckte leicht zusammen. Wie lange hatte sie ihren Besucher schon angestarrt? Wohl nicht zu lange, denn er schien nicht sonderlich in Verlegenheit geraten zu sein. Jethro jedoch stand an der Tür und schien kurz davor, die Fassung zu verlieren. Das leise Räuspern eines diskreten Butlers, das er sicher beabsichtigt hatte, war nur leider zu einem Schnauben missraten.
„Ackland, bitte bringen Sie uns einige Erfrischungen.“ Sie tat ihm den Gefallen, ihn vor dem hohen Besuch zu siezen und so seiner Stellung größeren Wert zuzumessen.
„Möchten Sie Tee, Mylord? Oder vielleicht ein Glas Madeira?“
„Tee wäre sehr erfreulich, Miss Lattimer, vielen Dank.“
Sie nickte Jethro zu, der sich geräuschlos zurückzog.
Seine Stimme passt zu ihm, fand Hester. Sehr oft war die Stimme eines Mannes eine herbe Enttäuschung, doch die des Earls klang tief und angenehm. Er betrachtete sie mit äußerster Gemütsruhe und gab kein Zeichen, ob er in ihr das Dienstmädchen von gestern erkannte. Plötzlich hatte sie das Gefühl, sich in seinen Augen lächerlich zu machen, wenn sie dieser Begegnung zu viel Bedeutung beimaß.
„Es tut mir leid, dass ich Sie gestern nicht empfangen konnte“, begann sie. „Wir waren gerade erst angekommen, und sehr viel Arbeit erwartete uns.“
„Meine Schwester beschwert sich oft, wie schwierig es doch sei, gute Dienstmädchen zu bekommen“, erwiderte er höflich und mit einem unübersehbaren Zwinkern.
Kein Zweifel, er hatte sie als das zerzauste Dienstmädchen von gestern erkannt.
Hester erwiderte sein Lächeln unwillkürlich. Es blieb ihr nichts anderes übrig. Sie würde ehrlich zu ihm sein und darauf hoffen, dass er Verständnis zeigte.
„In der Tat. Es war natürlich sehr unklug von mir und gedankenlos, die Tür zu öffnen.
Der Himmel weiß, was Sie von mir gedacht haben müssen.“
„Ich dachte, die neue Nachbarin beweise sehr guten Geschmack, was ihre Dienerschaft anging.“ Was meinte er denn damit? Doch wohl nicht, dass er sie für ansehnlich hielt? Zwar hatte sie nicht wirklich etwas dagegen, dass der Earl diese Meinung hegte, doch das bedeutete nicht, dass er diese Meinung auch laut kundtun durfte.
„Ich hätte meinen Butler rufen sollen“, sagte sie distanziert.
„Ihren Butler? Sie meinen doch
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