02 - komplett
würde sie sich aus dem Haus treiben lassen, ob nun durch Schmeichelei, gönnerhafte Herablassung oder Täuschung. Es war lächerlich, dass er es überhaupt versuchte.
„Ich werde Ihnen ein anderes Haus zur Verfügung stellen“, fuhr er fort, „bis Sie entschieden haben, wo Sie leben möchten. Ich besitze Häuser in London ...“
„Aus London bin ich gerade weggezogen. Und weder habe ich das Bedürfnis noch den Wunsch und ganz bestimmt nicht die Absicht, wieder auszuziehen.“ Hester nahm einen Schluck Tee, um sich zu stärken, und stellte die Tasse mit Nachdruck ab.
Die Anziehungskraft, die der Earl vom ersten Moment auf sie ausgeübt hatte, war für den Moment vergessen.
„Ich werde Ihnen selbstverständlich einen Preis zahlen, der Ihre Auslagen übersteigen wird.“
Lord Buckland betrachtete sie ruhig, als hege er nicht den geringsten Zweifel daran, dass sie am Ende nachgeben würde. Wenn man ein reicher, gut aussehender Adliger von hohem Ansehen war, erreichte man wohl gemeinhin jedes gewünschte Ziel, ohne besonderen Schwierigkeiten zu begegnen. Es wurde Zeit, Seiner Lordschaft klarzumachen, dass das keinesfalls ein unabänderliches Naturgesetz darstellte.
„Mylord, ich sagte Nein, und ich meinte auch Nein.“ Damit schien sie keinen Eindruck bei ihm zu machen. „Warum wollen Sie das Moon House so unbedingt erstehen?“, fragte sie heftig und bemerkte für einen Moment ein leidenschaftliches Funkeln in seinen Augen.
„Es steht mir leider nicht frei, Ihnen zu antworten, Miss Lattimer. Darf ich meinerseits wissen, warum Sie so sehr an einem Haus hängen, das Sie kaum kennen?“
„Mir steht es schon frei, Ihnen zu antworten, Mylord“, erwiderte Hester im gleichen kühlen Ton wie er. „Allerdings habe ich nicht die Absicht, es zu tun.“
Dieses Mal zeigte seine Miene Belustigung und, wie Hester meinte, einen gewissen widerstrebenden Respekt. „Touché. Dann werde ich wohl einfach versuchen müssen, Ihre Meinung zu ändern, Miss Lattimer. Zweifellos werden Sie in den nächsten Tagen einige Nachteile feststellen, wenn der Reiz des Neuen erst einmal abgeklungen ist.
Alle alten Häuser besitzen gewisse ... Eigentümlichkeiten.“
Hester erschauderte leicht. Könnte das Ankleidezimmer eine dieser Eigentümlichkeiten sein? „Und während Sie versuchen, mich zu zermürben, werden Sie in jenem abscheulichen Bauwerk gegenüber Ihr Lager aufschlagen?“
„Woher wollen Sie wissen, dass es sich nicht um einen geliebten Familiensitz handelt?“ Er legte die Finger aneinander und betrachtete Hester ruhig.
„Weil ich Ihre Karte gelesen und im Adelsregister nachgeschlagen habe“, antwortete sie ungerührt.
Er nickte anerkennend. „Sehr weise. Aber mein abscheuliches Bauwerk hat einen großen Vorteil.“
„Und der wäre?“
„Die Aussicht ist sehr viel besser als Ihre.“ Er erhob sich geschmeidig. „Ich danke Ihnen für den Tee, Ma’am. Es war mir ein Vergnügen, Sie kennenzulernen.“
Unausstehlicher Mann, dachte Hester. Wie hatte sie ihn je für anziehend halten können? Sie zog heftig am Klingelzug, der sich unter einem leichten Regen von Mauerputz und toten Fliegen von der Wand löste. Maria stieß einen leisen Schrei aus, während Hester regungslos dastand und der Versuchung widerstand, sich den Staub vom Kleid zu klopfen.
Der Earl trat heran, ein makellos sauberes weißes Taschentuch in der Hand. „Bitte gestatten Sie mir, Miss Lattimer. Sie haben Gipsstaub auf Ihren Wimpern. Es könnte sehr schmerzhaft werden, sollte er Ihnen in die Augen geraten.“
Mit einem unterdrückten Seufzer senkte Hester die Lider und erlaubte ihm, ihr sanft über die Augen zu wischen. Dann öffnete sie sie wieder und sah, dass der Earl immer noch sehr dicht vor ihr stand.
„Ihre Augen ändern die Farbe, wenn Sie verärgert sind. Wussten Sie das?“, fragte er leichthin. „Muss an den goldenen Sprenkeln liegen.“
Leicht aus der Fassung gebracht, erwiderte Hester unüberlegt: „Sie ändern sie auch, wenn ich glücklich bin.“
„Sicher spiegeln sie jede Ihrer Empfindungen wider. Ein wirklich faszinierendes Phänomen. Ich muss weiterhin darauf Acht geben. Und zwar aufmerksam.“
Mehrere mögliche Erwiderungen gingen Hester durch den Kopf, aber ihre guten Manieren verboten jede einzelne von ihnen. Sie war entschlossen, das Betragen einer vornehmen jungen Dame beizubehalten, und wenn es das Letzte war, was sie in diesem Leben tat. „Ich bin davon überzeugt, dass Sie es sehr bald leid wären, Mylord.
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