02 Nightfall - Rueckkehr des Engels
etwas zu dämpfen. Er fragte sich, wie es wohl sein musste, in dieses blasse, schöne Gesicht zu blicken, während man sich langsam auflöste.
Moore hatte geschrien. Laut, lang und … flüssig.
Ein schwarzer Gedanke huschte durch Jons ruhelosen Geist: Vielleicht hatte er den Datenträger finden sollen. Vielleicht war
es Schicksal gewesen und nicht nur Gier. Hatte möglicherweise jemand seine Hand gelenkt?
Während des Aufräumens hatte seine Mannschaft festgestellt, dass ein Blitzeinschlag oder etwas Ähnliches den Trafo des Gebäudes lahmgelegt haben musste. Der Einschlag hatte fast alles verbrannt: die Computer, die Sicherheitskameras – alles außer den Kameras in der medizinischen Abteilung; anscheinend waren sie an ein anderes Stromnetz angeschlossen gewesen.
Dann hatte Neugier oder Gier oder das verdammte Schicksal Jons Finger dazu gebracht, nach der CD zu greifen …
In den Tagen nach der Reinigungsaktion waren die Mitarbeiter seines Teams einer nach dem anderen gestorben. Plötzlicher Herzinfarkt, wie tragisch! Ehemann erwischt Ehefrau mit einem anderen im Bett, erschießt zuerst sie und dann sich. Ist das nicht unfassbar? Schwer verschuldet, Selbstmord, Mann, unglaublich!
Ja. Ja, das war es. Unglaublich.
Jon war geflohen. Er war von einem zwielichtigen Motel zum nächsten gefahren und war inzwischen so verängstigt, dass er kaum wagte, in den Rückspiegel zu blicken oder auch nur aus dem Fenster einer Gaststätte, nachdem er dort hastig ein Essen hinuntergeschlungen hatte. Er fürchtete sich, wen er draußen entdecken könnte.
Er hatte überlegt, die CD den Medien zu übergeben, bis ihm klargeworden war, dass sie ihn vermutlich für einen Wahnsinnigen halten würden, der zu viel Zeit und die neueste Version von Videobearbeitungssoftware zum Herumspielen hatte. Er hatte sogar in Erwägung gezogen, sie dem Center zurückzuschicken, doch er nahm an, dazu sei es bereits zu spät und eine solche Geste inzwischen zu wenig. Erst am Vorabend war ihm endlich klargeworden, was er tun und wer die CD sehen musste.
Dr. Robert Wells.
Auch nachdem Wells in Rente gegangen war und sowohl das Center als auch das FBI verlassen hatte, um nach Oregon zu ziehen, hatte Jon Kontakt zu ihm gehalten. Sein Töchterchen, die honigblonde Kristi, lebte und war gesund, weil Dr. Wells sie genetisch behandelt hatte, während sie noch im Leib ihrer Mutter Nora gewesen war – ein verformtes Embryo, zum sicheren Tod verurteilt. Jon stand tief in der Schuld des Arztes – eine Schuld, die er nie ganz begleichen könnte. Er hoffte, dass die CD und ihr Inhalt helfen würden, Wells die Möglichkeit zu geben, sich auf das Bevorstehende vorzubereiten und es so vielleicht zu überleben.
Schließlich war Bad Seed Wells’ Schöpfung gewesen. Wenn es jemanden gab, der wusste, wie man Dante oder S oder wie auch immer dieser Kerl heißen mochte, im Zaum halten konnte, dann war das der Doktor.
Jon schloss die brennenden Augen und betete, sein Untertauchen möge wenigstens Nora und Kristi das Leben gerettet haben.
Fingerknöchel klopften an seine Tür.
Jon riss die Augen auf, sein Herz raste. Ein Schatten verdeckte den Wasserfleck an der Decke. Er war anscheinend eingeschlafen, denn im Zimmer war es inzwischen dunkler. Wieder klopfte es, und eine klangvolle, selbstbewusste Stimme rief seinen Namen. »Bronlee? Hier ist Cortini. Öffnen Sie die Tür. Wir müssen reden.«
Jon schlug das Herz bis zum Hals. Er setzte sich kerzengerade auf, fuhr sich mit den Fingern durchs Haar und versuchte nachzudenken. Cortini. Er sah sie vor sich: schulterlanges, kaffeebraunes Haar, haselnussbraune Augen, elfenartiges Gesicht, schlanke Figur. Attraktiv. Es ging das Gerücht, sie sei Vampirin. Oder die Freundin eines Vampirs.
Er hatte von der Existenz der Vampire erfahren, als er der Reinigungstruppe beigetreten war. Erstaunlich, wie schnell er sich an die Realität gewöhnt hatte, nachdem man ihm diese
Tatsache erst einmal wie eine Grapefruithälfte ins Gesicht gepresst hatte.
Aber Vampirin oder nicht war derzeit nicht das Problem. Das Problem war, dass Caterina Cortina dafür zuständig war, Unerledigtes zum Abschluss zu bringen, und er stellte etwas gewaltig Unerledigtes dar. Wie ging nochmal dieser Spruch: »Wenn du Gott siehst, bist du im Himmel. Wenn du den Teufel siehst, bist du in der Hölle. Wenn du Cortini siehst, bist du tot.«
Wieder rüttelte sie am Türknauf. »Bronlee, wir müssen wirklich reden. «
»Einen Augenblick noch«, krächzte
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