02 - Schatten-Götter
Grazaans Interesse läge, aber was ist mit Thraelor?«
»Er hat seinen Roten Turm in Casall im letzten Monat so gut wie gar nicht verlassen«, widersprach Kodel. »Ich wüsste bestimmt, wenn er hier gewesen wäre.«
»Und unsere hiesigen Akolythen?«
Kodel lachte laut. »Das sind natürlich die wahrscheinlichsten Kandidaten, obwohl ich mir nicht vorstellen kann, wie die Befreiung des Schwarzen Priesters ihrem Zweck dienlich sein sollte.«
Er musste nicht sagen, welcher Zweck das war. Die Machtergreifung des Herrn des Zwielichts und damit die unausweichliche Vernichtung der Schattenkönige.
»Die Zauber müssen verstärkt werden«, empfahl Byrnak. »Vielleicht sollten wir einige unliebsame Überraschungen für jeden einbauen, der damit herumspielt? Wenn ich nach Rauthaz zurückkehre, lasse ich heimlich einen zweiten Käfig anfertigen.« Die beiden Schattenkönige lächelten in grausamem Einverständnis und wandten sich dann dem gefangenen Ystregul zu. Smaragdgrünes Feuer flammte in ihren Händen auf.
Gilly war an einen zersplitterten Mast des uralten, vermoderten Schiffes gebunden. Er hockte in einer sitzenden Haltung auf dem Deck und versuchte, die Fesseln an seinen Handgelenken zu lösen. Der Tag ging zu Ende, und die kalte Nacht brach an. Ihre Reise war unterbrochen worden, nachdem sie mit Hilfe Schwarzer Hexerei aus Scallow ausgelaufen waren. Sie befanden sich auf der Insel Sulros, und der Schoner lag auf einem Kieselstrand unweit von Port Caeleg. Die unabhängige Hafenstadt stand in dem Ruf, dass dort massenhaft Intrigen gesponnen und alle Arten von Gesetzlosigkeiten begangen wurden. Eine widerliche grüne Aura flackerte über den verrotteten Rumpf, aber Gilly achtete mehr auf das furchteinflößende Schauspiel, welches auf dem Vordeck stattfand.
Crevalcor, der Nigromant, kniete auf den blanken Planken vor einem kleinen Feuer, in dem eine blaue Flamme loderte. Eine funkenstiebende Rauchwolke kräuselte sich langsam von dem Feuer in die Luft. Links von ihm kniete der kräftige, bärtige Hevrin, der Hohe Admiral der aufständischen Insulaner. Seine verkrampfte Haltung sprach von den unsichtbaren Fesseln, die ihm Crevalcor angelegt hatte und die ihn zur Fügsamkeit nötigten. Als der Mann vor kurzem an Bord gekommen war, hatte Gilly den mörderischen Blick gesehen, den er dem Nigromanten hinter seinem Rücken zugeworfen hatte.
Rechts neben Crevalcor saß mit gekreuzten Beinen ein Kriegerpriester aus Jefren, dessen Gesicht vollkommen hinter einer Maske verborgen war. Die Qualität der Maske aus schwarzem Eisenholz und seine prächtigen, roten Roben nährte Gillys Verdacht, dass es sich um einen hochrangigen Offizier der Theokratie handelte. Ich würde eine Wagenladung Perlen verwetten, dass hier irgendwo vor der Küste eine Flotte aus Jefren ankert, hatte er gedacht, als der Mann von einer offiziellen Schaluppe an Bord gestiegen war.
Der Maskierte hatte Crevalcor bei den Vorbereitungen des Rituals assistiert und dann schweigend dagesessen, als der Nigromant eine gutturale Anrufung anstimmte. Die Luft über dem qualmenden Feuer schimmerte plötzlich, und die Flamme schien einen Moment die Rauchsäule zu verzehren, bis ein merkwürdiges Strahlen in ihrem Mittelpunkt einsetzte, ein dunkles Rot, in das sich ein glasiges Grün mischte. Dieses fahle Licht wirbelte träge über unsichtbare Kurven und Ränder, markierte Grenzen, und allmählich nahm über dem Feuer ein gewaltiger Kopf Form an, dessen Züge menschlich und hager waren, die Augen mandelförmig und starr, und dessen volle Lippen sich zu einem grausamen Lächeln verzerrten.
»Ehre sei dir, Großer Gebieter Thraelor!«, rief Crevalcor.
Die Erscheinung des Schattenkönigs Thraelor senkte den Blick und musterte sehr genau die drei Gestalten, die vor ihm kauerten. Ein merkwürdig zusammenhangloser Wortwechsel folgte, der manchmal in gemeinem Mantinor geführt wurde, dann wiederum setzten Crevalcor und Thraelor das Gespräch in einer harten, kehligen Sprache fort, die Gilly nicht kannte. Wenn das passierte, verzerrte sich das Rauchgesicht kurz und nahm eine schwarzsilberne Färbung an, die jedoch Momente später wieder verschwand, wenn auch die Sprache sich wieder änderte.
Schließlich endete die grässliche Zeremonie, und die verzerrten Gesichtszüge des Schattenkönigs verblassten. Nach einer kurzen, gemurmelten Diskussion erhob sich der Kriegerpriester aus Jefren, wandte sein maskiertes Gesicht einmal kurz in Gillys Richtung und verschwand über die
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