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02 - Schatten-Götter

02 - Schatten-Götter

Titel: 02 - Schatten-Götter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Cobley
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Lächeln. Sie wusste von den Palastbeamten, dass Tauric an Bord dieser Barke gehen und auf ihr den kurzen Weg zum anderen Ufer zum Tempel der Erden-Mutter zurücklegen würde, sobald die Glocken am Fluss zu schlagen begannen. Dort würde er der Äbtissin einen geschnitzten Speer aus Agathon-Holz überreichen und dafür von ihr die Blumenkrone erhalten. Dann würde er erneut an Bord gehen und zum Fünfkönigs-Pier zurückkehren, wo dann die eigentliche Krönung vollzogen wurde. Die Zeremonienbarke war ein großes, breites Boot mit einer Reihe Ruderer und einem mit blauem Stoff ausgeschlagenen Heckaufbau. Die Barke war mit flatternden Wimpeln, kleinen vergoldeten Wappen und geschnitzten Figuren geschmückt. Sie alle bildeten einen starken Kontrast zu dem Podest mittschiffs, auf das sich alles konzentrierte. Dort stand ein geschwungener Käfig aus schwerem, schwarzem Eisen, der einen einfachen, hohen Thron aus Steinholz umgab.
    »Es ist dieselbe Barke, in der mein… Vater bei seiner Krönung gesessen hat«, sagte Tauric nachdenklich. »Aber Tauric, sie hat ja gar kein Verdeck!«, entfuhr es seiner Gefährtin. »Und was passiert, wenn es wieder anfängt zu schneien?«
    »Dann muss ich wohl die Kälte ertragen, Liebling.« Tauric nahm ihre linke Hand in seine metallene Rechte, und schaute Alael an. »Ich möchte, dass du eine gute Freundin von mir kennen lernst, Lady Alael Tor-Coulabric. Alael, das ist Mila, die jüngste Tochter des Markgrafen von Brankenvale.«
    Alaels Hand ruhte entspannt auf dem hölzernen Geländer der Plattform, doch als die Frau sich umdrehte, wurde eben dieses Geländer plötzlich zu Alaels Anker. Sie sah der Tochter des Markgrafen ins Gesicht und hatte das Gefühl, in einen Spiegel zu blicken.
    Irgendwie gelang es ihr, die gelassene Fassade aufrecht zu erhalten, und sie murmelte einige belanglose Grußworte. Dann musterte sie Tauric jedoch scharf und suchte nach einem Anzeichen von Boshaftigkeit. Aber seine Haltung und seine Miene verrieten nichts weiter als Zuneigung zu dieser Mila, die ihre kleine, blasse Hand auf die glänzende, polierte Metalloberfläche seines Armes gelegt hatte. Sieht er denn die Ähnlichkeit nicht?, fragte sich Alael. Das schmale Gesicht, das lange, hellblonde Haar, ihre Gestalt… Ist er wirklich so blind? Taurics Gefährten gingen bereits an Bord der Barke. Unter ihnen befanden sich auch die Weißen Gefährten, seine persönliche Leibwache, die nach der Schlacht von Oumetra von einigen idealistischen jungen Männern ins Leben gerufen worden war. Jeder trug einen weißen Wappenrock mit dem Baum-und-Krone-Emblem, und als sie genauer hinsah, erkannte sie auch, dass jeder Einzelne von ihnen einen stählernen Handschuh an seinem Schildarm trug. Dies im Verein mit dem Auftreten dieser jungen Mila ließ ihr einen Schauer des Unbehagens über den Rücken laufen. Die Tochter des Markgrafen betrachtete sie nervös und wollte etwas sagen, doch Tauric schnitt ihr mit einer Handbewegung das Wort ab und legte lächelnd seine gesunde Hand hinter sein Ohr.
    Die Trommeln dröhnten noch immer vom Fünfkönigs-Pier herüber, ein dunkler, hartnäckiger Rhythmus unter dem Stimmengewirr der Menge, doch jetzt konnte Alael das schwache Klingen der Glocken hören. Es näherte sich von stromaufwärts und schwoll allmählich an. Dann schlug auch die Glocke am Pier, und als sie zum Turm hinaufsah, bemerkte sie, wie jemand mit beiden Händen Blütenblätter in die Luft warf, die in einem duftenden, bunten Schauer auf sie herabregneten. Die Leute auf der Barke antworteten mit freudigem Geschrei. »Das ist das Signal für meine Abfahrt, Alael«, sagte Tauric. »Wirst du an der letzten Zeremonie teilnehmen?« »Das werde ich, Eure Hoheit.«
    »Gut, dann vielleicht…«, er zögerte und lächelte sie dann wehmütig an,»… bis später.«
    Gefolgt von Mila stieg er von der Kutsche, bot ihr den Arm und schritt über den Laufsteg zu seiner Barke. Alael sah ihm nach. Er ist ein Junge, dachte sie, nur ein Junge. Aber ihre Überzeugung wurde von Bedauern und Zweifel getrübt.
    Als das Paar auf das Deck stieg, warf die Tochter des Markgrafen Alael einen unverhüllt triumphierenden Blick zu. Alael wurde sich plötzlich bewusst, dass sie ganz allein und gut sichtbar auf der Kutsche stand, und ging zu der kleinen Treppe. Als sie wieder bei ihren Wachen ankam, war Tauric nur noch eine undeutliche, verschwindend kleine Gestalt in einem eisernen Käfig, die langsam über das Wasser hinweg getragen wurde. Nachdem

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