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02 - Schatten-Götter

02 - Schatten-Götter

Titel: 02 - Schatten-Götter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Cobley
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das unter dem Aufprall zerbrach. Der Junge schrie, als er mit rudernden Armen hindurchfiel, aber es gelang ihm, sich am Rand der Brücke festzuhalten. Gilly fluchte, nahm sein Schwert in die andere Hand, zog ein kurzes Wurfmesser aus seiner Gürtelscheide und schleuderte es auf den Mann. Gilly hatte auf die Kehle gezielt, aber der Mann drehte sich unvermittelt herum, weil er die bewusstlose Nerek vom Boden hochziehen wollte. Das Messer grub sich nur in seine Schulter.
    Er knurrte, ließ Nerek los, warf sich zur Seite, rollte herum und landete in der Hocke. Dann sah er Gilly, der mit gezücktem Schwert auf ihn zustürmte. Der Mann warf ihm einen mitleidlosen, kalten Blick zu, sprang auf und floh in eine vom Dampf vernebelte Gasse. Gilly wollte ihm instinktiv folgen, aber ein schwacher Hilfeschrei ließ ihn innehalten. Er trat an das zerbrochene Geländer, steckte sein Schwert in die Scheide und zog den Jungen hinauf. Der rappelte sich sofort auf und rannte in den blassen Dunst davon. Von seinen Gefährten war nichts mehr zu sehen.
    »He!«, rief Gilly. »Wie wäre es mit etwas Dankbarkeit, du kleiner Fratz?«
    Einen Moment herrschte Schweigen, dann rief eine Jungenstimme:
    »Die Blinde Rina dankt dir …«
    »Und wer …« Gilly wurde von einem angestrengten Husten unterbrochen. »Nerek!«
    Sie lag in dem Torbogen eines Kerzenziehers und versuchte, aufzustehen. Er bückte sich, um ihr zu helfen. »Im Namen der Mutter, Frau, ruht Euch einen Moment aus …«
    »Nein… Nein!« Sie hustete immer noch und ließ sich von Gilly hoch helfen. Dann richtete sie sich mühsam auf und lehnte sich gegen den Türrahmen. »Ich muss zur Krönung, und Ihr müsst mir helfen …!« Gilly erkannte den Zustand, in dem sie sich befand, und war hin und hergerissen zwischen Besorgnis und Ärger. Nerek sah Keren sehr ähnlich, und war doch ganz anders. Sie wurde von einer Unerbittlichkeit getrieben, die ihr manchmal eine grimmige und unheimliche Ausstrahlung verlieh. Dennoch gab es Augenblicke, in denen sie etwas tat oder sagte, was ihr einsames und rührendes Bemühen verriet, die Welt um sich herum zu verstehen. Zu anderen Zeiten wirkte sie dagegen vollkommen kompromisslos.
    »In Eurem Zustand könnt Ihr nicht…«, begann er.
    »Hört zu … Man hat versucht mich umzubringen, damit ich nicht an der Krönungszeremonie teilnehme«, unterbrach sie ihn heiser und packte seinen Arm. »Ich weiß nicht warum, aber ich muss Bardow und die anderen warnen. Wenn Ihr … mir nicht helfen wollt, krieche ich eben zum Pier, wenn es sein muss …« Gilly hob die Hände in einer spöttischen Geste der Kapitulation. Er wusste, dass sie es ernst meinte. »Ich beuge mich Euren Argumenten, Mylady, dieser klugen Kombination aus Offenheit und Zwang.« Er legte ihren Arm über seine Schultern und stützte sie mit einer Hand um ihre Taille. »Ehrlich, das Hohe Konklave sollte Euch an meiner statt nach Dalbar schicken.«
    »Hat jemand gerade den Namen der Blinden Rina genannt?«, fragte sie, während er ihr über den Steg half. »Einige Bettelkinder, die mir gefolgt sind…«, erwiderte er und berichtete in knappen Worten, was passiert war. Einschließlich des merkwürdigen Danks zum Abschied. Zu seiner Überraschung lachte Nerek trocken. »Sie hatte Recht«, erklärte sie. »Ich muss Bardow bitten, mir beizubringen, wie ich die Niedere Macht nutzen kann.«

3
    Im Spiegel der Seelen
Wurzeln seltsame Dinge.
    DAS BUCH VON ERDE UND STEIN
    Der Bazar von Kulberisti befand sich in einer großen, von Markisen überdachten Straße, die vom Ende der Respilstraße zur Ostseite des Fünfkönigshafens führte.
    Erzmagier Bardow hatte den Morgen über an drei wichtigen Besprechungen teilgenommen. Bei der letzten, welche in den Kontoren der reichsten Kaufleuten der Händlergilde von Besh-Darok stattgefunden hatte, ging es um einen Streit über Zollgebühren und Handelssperren. Als er sich endlich zur Kleinen Krönung aufmachte, war die Respilstraße der naheliegendste Weg.
    Bedauerlicherweise schien fast jeder in diesem Stadtviertel auf dieselbe Idee gekommen zu sein. Der Bazar von Kulberisti bestand augenblicklich aus einer dichten Menge von Leibern, die sich langsam nach Norden zum Engpass der Gasse schob, dem Hauptweg zum Hafen. Auf jeder Seite der Menschenmenge boten die Budenbesitzer lautstark Essen und Trinken feil, aber das konnte Bardow und seine Begleiter nicht trösten, die inmitten der Menschenmassen festsaßen und seit zehn Minuten kaum einen Schritt weiter gekommen

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