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02 - Schatten-Götter

02 - Schatten-Götter

Titel: 02 - Schatten-Götter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Cobley
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grimmige, furchtsame Gesichter. Niemand sagte etwas, als hätte der schmerzliche Anblick des zerstörten Forts den Zuschauern die Sprache verschlagen. Dann hörte er, wie jemand rhythmisch klatschte, und mit einer heiseren, kräftigen Stimme ein Lied anstimmte. Der Text ertönte in der Sprache der Mogaun, aber Yasgur erkannte das Lied erst nach ein paar Versen. Es war ein alter Kinderreim, »Der alte Narr reißt nieder seine Hütte«, die von dem Versuch eines alten Mannes erzählte, Ameisen daran zu hindern, in seine Hütte einzudringen. Überraschtes Gelächter brandete über die Wälle, und andere nahmen den Refrain auf. Es war ein einfacher, langsamer Vers, der damit endete, dass der Sänger mit beiden Füßen auf die Erde stampfte, bevor die nächste Strophe begann. Die Mogaun stimmten in das alte Kinderlied ein, dann auch die Khatrisianer, und Lautstärke und Tonfall des Liedes veränderten sich. Schon bald schrieen tausende von Stimmen die Unsinnsworte trotzig heraus, und das Stampfen der Füße rollte wie Donner über die Befestigungen. Yasgur neigte nicht gerade zu dramatischen Gesten, aber als das Lied sein brüllendes Crescendo erreichte, schnappte er sich eine Fahne, die in einem der eisernen Halter an den Befestigungen hing, und sprang auf die Zinne.
    Er hielt die Fahne hoch, und deutete mit der anderen Hand auf eine weit entfernte Ansammlung von Bannern, die Byrnaks Standort markierten. Ein tosendes Gebrüll schlug ihm entgegen, und er musste warten, bis es ein wenig abebbte, bevor er so laut rief, wie er konnte: »Ich kann dich sehen, Alter Narr!« Er winkte mit seiner ausgestreckten Hand, was weitere freudige Zustimmung auslöste. »Komm nur, Alterchen, wir warten!«
    Unter lautem Jubelgeschrei sprang Yasgur von den Zinnen herunter, während Atroc sich ihm zügig näherte. Der Lordregent sah die Befriedigung in dem runzligen Gesicht, und sein Verdacht bestätigte sich. »Hattest du damit etwas zu schaffen, Alter?«
    »Ach, mein Prinz, Lieder sind die geheime Stimme der Seele, und als meine Seele sprach, konnte ich sie nicht zum Schweigen bringen!«
    Yasgur grinste. »Gut gesungen, alter Freund«, sagte er und schlug ihm auf die Schulter. Leiser fügte er hinzu: »Und auch im rechten Moment. Den Männern drohte gerade der Mut zu sinken …«
    »Mylord.« Nerek trat neben ihn. »Ich muss gehen. Mein Pferd wird in der Eisen-Kaserne neu beschlagen, und ich möchte sichergehen, dass der Schmied gute Arbeit leistet.«
    »Geht nur, Mylady«, erwiderte Yasgur. »Und kämpft gut.«
    Sie verbeugte sich knapp und eilte die lange Treppe hinunter, die in die Mauer gehauen war. Yasgur sah ihr nach und drehte sich dann zu Atroc herum.
    »Neuigkeiten vom Hafen?«, fragte er.
    Der Seher nickte. »Zwei Segel wurden am südlichen Horizont gesichtet, aber bis jetzt ist nicht zu erkennen, ob es Freund oder Feind ist.«
    Yasgur verzog ernüchtert das Gesicht. Die meisten befreiten Städte und Dörfer südlich des Großen Tales hatten versprochen, Truppen zur Verteidigung von Besh-Darok zu senden, aber nur wenige hatten auch tatsächlich Wort gehalten. Eine Botschaft aus Adnagaur sprach von drei Schiffen, aber es würde noch mindestens eine, vielleicht sogar zwei Stunden dauern, bis die heransegelnden Schiffe identifiziert werden konnten. In der Zwischenzeit musste er seine wenigen Männer so gut wie möglich verteilen. Er hatte das Gallaro-Tor und das Schild-Tor mit zusätzlichen Eisenstangen von innen verriegeln und dazu Tonnen von Felsbrocken dahinter aufhäufen lassen. Der Feind musste also entweder über die Stadtmauern klettern oder sie einreißen.
    Er starrte über die Mauer hinweg auf die reglosen Formationen von Byrnaks riesiger Armee, auf die dichtgestaffelten, schwarzen Phalanxen, die sich deutlich gegen das schneebedeckte Terrain abhoben. Unter diesen großen Einheiten befanden sich sicherlich noch einige kleinere Gruppen mit Seilen und Leitern, das war sicher. Byrnaks Heer war größer, als der Blick erfassen konnte.
    Und von den Mogaun war immer noch nichts zu sehen.
    Dann ertönte das Geräusch, das Yasgur erwartet hatte. Sein Klang hallte scharf durch die kalte Luft. Es waren Hörner, die auf den nördlichen und südlichen Abschnitten der Mauer geblasen wurden und einen feindlichen Angriff meldeten. Von seinem Standort zwischen den beiden Haupttoren hatte er eine bessere Sicht auf die nördlichere Flanke und sah drei massive Einheiten von schwarzgekleideten Soldaten auf die Stadt zuströmen. Dann ersetzte

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