02 - Schatten-Götter
auf der Stelle, selbst auf den kalten Steinfliesen, während sein Verstand verzweifelt zu erfassen versuchte, was passiert war. Aus dem Korridor drangen Schreie und Kampflärm in die Kammer, allerdings schwächer als zuvor. Bardow hatte keine Ahnung, wie die Schlacht um die Mauern von den Geschehnissen in diesem Raum beeinflusst worden war. Aber er musste eine Entscheidung treffen.
»Lasst ihn am Leben … für's Erste«, stieß er erschöpft hervor. »Aber bindet und knebelt ihn … und auch Nerek.« Es tat ihm in der Seele weh, als zwei Paladine sich Nerek mit langen Stoffsstreifen näherten, die sie von einem der Vorhänge vor dem Fenster heruntergerissen hatten. Als der eine von beiden ihre Arme nach hinten bog, durchfuhr sie plötzlich ein Ruck. Sie krabbelte hastig vor den beiden Rittern weg, murmelte, schluchzte und sprang auf die Füße. Sie zog einen langen Dolch aus der Scheide an ihrer Hüfte und sah sich mit wild rollenden Augen um.
«… weg, nehmt ihn weg … Er ist … in mir …!« Sie streckte ihre leere Hand zu Bardow aus und flehte ihn an. »Helft mir, Bardow … Helft…!«Dann verzerrte sich ihr Gesicht in einer Grimasse des Schmerzes und der Wut, und ihre Stimme wurde plötzlich kehlig.
»Ich töte euch alle, ich werde diese Steine mit eurem Blut tränken … eurem …!«
Die eine Hälfte von Nereks Gesicht blieb verzerrt, während die andere erschlaffte. »Nein, das werde ich nicht zulassen …
Dich werde ich erst töten, dich und dann jene…!«
Nerek wirbelte herum und stürmte durch die geborstene Tür aus dem Raum, während sie kreischte und mit dem Dolch nach den entsetzten Dienern schlug, die sich hastig vor ihr in Sicherheit brachten. Bardow sah ihr nach. Ihm war klar, dass sie jetzt gegen einen brutalen und erbarmungslosen Feind um ihr Leben und ihre Seele kämpfte. Er bedeutete einem der Paladine, ihr zu folgen.
»Lasst sie nicht aus den Augen«, sagte er. »Aber versucht nicht, sie aufzuhalten. Das würde Euch das Leben kosten!«
Noch während der Ritter hinter Nerek herhastete, schrie einer seiner Männer auf und deutete auf jemanden hinter Bardow. Der Erzmagier wandte sich um und sah, wie der Mazaret-Schatten die bewusstlose Alael zum Balkon schleppte. Bardow war außer sich vor Furcht und Wut und quälte sich mühsam die Treppe hinauf. »Nein!«, schrie er. »Warte …!«
Im nächsten Moment tauchte ein riesiger, dunkler Schatten vor dem Balkon auf. Der Geistschatten warf sich Alael über die Schulter und kletterte auf den Rücken des Nachtjägers, der die Menschen in der Kammer mit seinen glühenden, facettierten Augen anstarrte. Dann breitete er seine ledrigen Schwingen aus und erhob sich mit einem mächtigen Schlag von dem Balkon.
Ich hätte Euch besser beschützen müssen, Alael, dachte Bardow, während er der Kreatur nachsah, die Kurs auf Gorla nahm. Nachdem das vereinte Schwert vollendet war, hätte ich Euch auf ein Schiff und weg von diesem Ort bringen lassen müssen …
Er taumelte gegen das Geländer des Balkons. Es schneite wieder, und Bardow sah das Chaos in den Straßen regieren, während ein Gebäude nach dem anderen in Flammen aufging. Er war so erschöpft, so vollkommen am Ende seiner Kräfte und seiner Hoffnung, dass nicht einmal das Kristallauge ihm helfen konnte. Er fühlte seine wachsame Gegenwart, also lag es noch geborgen in der geheimen Kammer, und er spürte ebenfalls, dass es versuchte, ihm etwas zu sagen, aber sein müder Verstand konnte es nicht erfassen.
Dann schrieen die Leute, die auf den Balkon hinausgetreten waren, deuteten nach Nordwesten, in Richtung Keshadas. Mit stoischer Verzweiflung drehte sich Bardow herum und blickte auf die weit entfernten, verschneiten Felder. Er erwartete, weitere schwarzgepanzerte Phalanxen auf Besh-Darok marschieren zu sehen. Stattdessen tauchten tausende von Reitern aus dem Schneetreiben auf, in Pelze gehüllt und mit Fellen behängt, die primitive Banner mit Stammesemblemen schwenkten, und ihre Pferde in einem wilden Galopp über die hügelige, weiße Landschaft trieben …
Bardow fand gerade noch genug Kraft, um seinen Blick mit Hilfe des Kristallauges weiter auszudehnen, und was er sah, ließ neue Hoffnung in ihm aufkeimen. Zwischen den stämmigen Bergpferden der Mogaun galoppierten Geschöpfe, mit deren Anblick Bardow nie im Leben gerechnet hätte … Hexenmähren!
Vor der Stadt verwandelte sich die Armee des Schattenkönigs in eine führerlose, konfuse und verstreute Horde, die untereinander zu kämpfen
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