02 - Schatten-Götter
ihrer Gefangenen Alael, und auch Bardow, der neben einem Gestell stand, in dem das vereinte Schwert hing. Sie alle waren jedoch wie bloße Schemen im Vergleich zu dem tosenden Feuer des Brunn-Quell, das ihre Sinne erfüllte. Der Suviel-Schatten hatte ihr in der Bibliothek aufgelauert und sie verletzt, doch Nerek ignorierte die Wunde in ihrer Seite und verfolgte den Geistschatten. Sie waren zweimal im Stockwerk unter diesem Raum aufeinander getroffen, und jetzt schien es, als würde es einen letzten, hitzigen Kampf geben.
Als Nerek sich dem Suviel-Schatten näherte, riss dieser den Mund weit auf und stieß lange Tentakel aus Quellfeuer aus, die Augen und ein Maul mit peitschenförmigen Ranken hatten. Nerek hob eine Hand, die von grünem Feuer umhüllt war, welches sie so formte, dass jeder Finger sich in bösartig gezackte Klauen teilte. Als die widerlichen, grünen Tentakel durch die Luft auf sie zuzuckten, schlug sie immer wieder darauf ein, bis sie in glühenden Stücken auseinanderbrachen, die qualmende Spuren in den gefliesten Boden brannten. Anschließend sprang sie ohne zu zögern mit ausgestreckter Klauenhand vor, packte den Geistschatten am Hals und drückte zu. Zwei brennende Hände zuckten hoch, die eine riss an dem Kragen von Nereks Lederkoller, die andere kroch über ihr Gesicht. Aber das Spiegelkind verstärkte seinen brennenden Griff und zwang den Geistschatten in die Knie. Der Brunn-Quell röhrte wie ein vereinter, gnadenloser Chor aus Geistern durch ihren Verstand, während sie das Leben aus dem Geistschatten wrang …
Plötzlich fiel die wilde, tönende Kraft des Brunn-Quell von ihr ab, schwand, verblasste und erlosch. Benommen und schweratmend straffte sich Nerek und stolperte von dem reglosen Körper weg. Sie sah, dass Bardow auf der anderen Seite des Raumes das doppelschneidige Schwert aus dem Gestell genommen hatte und damit auf den Mazaret-Schatten deutete, der Alael festhielt. Dann bemerkte sie, dass noch jemand die Kammer betreten hatte, und drehte sich um.
Die Tür zum Korridor war weit geöffnet, und Byrnak stand in der Kammer. Ein Dutzend schwarzgepanzerte, maskierte Schwertkämpfer hielt sich dicht hinter ihm. Byrnaks bärtiges Gesicht war gerötet vom Triumph, sein Blick erfüllt von Gier, und er lächelte grausam, während er die Anwesenden der Reihe nach betrachtete, bis er schließlich Nerek ansah. Nerek blieb wie angewurzelt stehen. Ihr war klar, dass Byrnak seinen Sieg auskosten würde, bevor er anfing, ihr Schmerzen zuzufügen. Er strahlte Macht und Dominanz aus, und schon in seiner Gegenwart fiel ihr das Denken schwer. Er grinste mit unverhohlener Lust, aber bevor er sprechen konnte, verlor einer der Paladine seine Selbstbeherrschung, stieß einen Schlachtruf aus und stürzte sich auf ihn. Ohne den Blick von Nerek zu wenden, zog Byrnak einen Dolch aus dem Gürtel und warf ihn beinahe lässig auf den heranstürmenden Angreifer. Der Dolch durchbohrte die Gurgel des Ritters. Als er taumelnd zum Stehen kam und würgend auf die Knie fiel, trat einer von Byrnaks Männern mit einem grünlich schimmernden Breitschwert vor und schlug dem Paladin mit einem Hieb den Kopf von den Schultern. Der Körper sackte zu Boden und das Blut sprudelte aus dem Hals des Toten auf die Fliesen.
Die anderen Anwesenden schluchzten und flüsterten, und Nerek, deren Wunde schmerzhaft brannte, fühlte sich machtlos und leer. Nein, nicht leer. Die Glut ihres Ärgers war nie erloschen, und Byrnaks Anblick entfachte sie aufs Neue, höher und heißer.
»Das ist das Ende ihrer erbärmlichen Rebellion, Nerek«, sagte Byrnak. »Nach allem, was sie gegen mich unternommen haben, sind sie alle an diesem Ort zusammengekommen, in dieser Arena der Vergeblichkeit, in der nur ich obsiegen kann. Und das kannst auch du, Nerek. Falls du ihnen und ihrer Sache abschwörst, erlaube ich dir, an meiner Seite zu stehen. Entscheide!«
Nerek dachte nicht eine Sekunde nach, sondern zog ihr Schwert. Byrnak lächelte. Der Schattenkönig stand etwa drei Meter vor ihr, und als sie langsam auf ihn zuging, fiel ihr plötzlich Keren ein.
Wärst du an meiner Stelle, Schwester, dachte sie, würdest du diese Aufgabe entweder ordentlich erledigen oder gar nicht. Wir sind an das bittere Ende angelangt, und uns bleibt nur noch, alles zu versuchen und aufrecht zu sterben.
»Nicht, Nerek!«, rief Bardow. »Überlass ihn mir.« Sie ignorierte den Erzmagier und sprang vor, das Schwert zum Schlag erhoben. »Für Keren und Falin!«, schrie sie.
Ihr
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